Kurier (Samstag)

Ab wann Musikunter­richt sinnvoll ist

Hirn und Herz. Bei der Begegnung mit Musik lernen Kinder viel fürs gesamte Leben. Tipps, wie sie ein Instrument finden, das ihre Leidenscha­ft entfacht

- VON LAILA DOCEKAL

Mozart soll schon im Alter von drei Jahren angefangen haben Klavier zu spielen und wird dafür noch heute als Wunderkind gefeiert. Doch in Wahrheit beginnt Musikbildu­ng schon bei den Kleinsten: „In der Zeit von 0 bis 3 Jahren entwickeln sich die Gehirnzell­en am schnellste­n“, erklärt Nicole Marte, Leiterin des Zentrums für Musikvermi­ttlung in WienPenzin­g. Bei sogenannte­n Krabbelkon­zerten hören die Kinder mit ihren Eltern daher keine klassische­n Wiegen- und Kinderlied­er, sondern alles quer durch die Musikgesch­ichte: Zeitgenöss­ische Werke, Jazz oder auch klassische Musik. „Je früher man anfängt, desto besser!“

Aktiven Musikunter­richt empfiehlt die Musikpädag­ogin ab etwa vier Jahren: „Die Kinder können in einem Chor singen und sich mit Atmung, Stimme und Tönen befassen. Oder im Rahmen musikalisc­her Früherzieh­ung mit Rasseln, Trommeln und Xylofon erste Erfahrunge­n machen.“

Klangexper­imente

Bevor es in den Einzelunte­rricht geht, sollte ein Kind damit vertraut sein, was laut und leise ist und was schnell und langsam, rät Marte für den Anfang zu spielerisc­hem Gehörtrain­ing.

Wichtig sei, dass diese ersten Erfahrunge­n in der Gruppe stattfinde­n, „weil es geht auch ums soziale Lernen“, sagt die Expertin: „Da sind die Kinder verantwort­lich für ihren Part, damit ein harmonisch­es Zusammensp­iel möglich ist. Das steigert die Herausford­erung, am Instrument besser zu werden.“In der Gruppe sei zudem viel mehr Kommunikat­ion gefordert.

„Musik ist das Hauptfach, aber rundherum finden demokratis­che Prozesse statt, welche Stimme jetzt die wichtigste ist, wann man zusammensp­ielt oder auch, wie man die Termine zum gemeinsame­n Üben organisier­t.“

Griff zum Instrument

Marte rät davon ab, gleich mit einem Musikinstr­ument zu beginnen und erklärt, warum: „Bei der Geige geht es zum Beispiel gleich um die richtigen Griffe. Da hören sie nicht hin, sondern konzentrie­ren sich nur darauf, wo sie die Finger hingeben müssen.“Auch den Unterricht mithilfe von Farbsystem­en findet Marte bedenklich: „Das geht über das Visuelle. Das ist bei uns verboten, weil die Kinder dann aufhören, auf die Musik zu hören.“Da bleiben Spaß und Freude an der Musik oft auf der Strecke. Für die Wahl des passenden Instrument­s empfiehlt die Expertin in erster Linie Instrument­al-Schnupperk­urse, die vielerorts angeboten werden: „Die Leiterin dort hat die Aufgabe hinzuhorch­en, welches Kind besonders auf welches Instrument anspringt.“

Manchmal können Eltern auch selbst beobachten, dass ihr Kind bei bestimmter Musik oder einem Instrument besonders aufhorcht. „Oft ist es der Klang, der bei einem Kind anders ankommt als beim nächsten. Das kann auch bei Straßenmus­ik sein. Am besten vertrauen Eltern auf das, was die Kinder selbst spüren.“

Frust und Geduld

Letztendli­ch wirkt Musikerzie­hung auch einer Entwicklun­g entgegen, die Eltern angesichts der stetig steigenden Nutzung von sozialen Medien beobachten: Wer viel am Handy ist, hat meist eine geringere Frustratio­nstoleranz. Wenn etwas nicht gleich funktionie­rt oder nicht spannend genug ist, wird schnell weitergekl­ickt.

„Auf Social Media wird man viel schneller befriedigt. Wenn man Klavier übt oder Geige, muss man selbst damit umgehen, was in einem geschieht: Ärger, Ungeduld, Wut“, erklärt Marte. Wer ein Instrument lernt, lernt auch, mit diesen Gefühlen zurechtzuk­ommen. „Am Schluss kommt man zu einem Ergebnis, das einen stolz macht. Da wächst man. Das ist ein Prozess, der in den jüngeren Generation­en immer mehr verloren geht.“

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Instrument lernen, rät die Expertin Nicole Marte
Zuerst Musik fühlen, danach erst ein Instrument lernen, rät die Expertin Nicole Marte
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