Kurier (Samstag)

Die SPÖ: Mit Babler zurück in die Zukunft?

Viele Funktionär­e haben sich von der Realität abgelöst

- DANIEL WITZELING

Andreas Babler stellt in idealer Form den Archetypus eines SPÖ-Politikers dar. Bodenständ­ig im Habitus und stets bemüht, auf Fragen ein Dauerfeuer sozialisti­scher Reaktionen und Antworten zu liefern. Eine im ersten Eindruck positive Antipode zu seiner eher abgehoben anmutenden Vorgängeri­n aus dem dank Bruno Kreisky und seinen Reformen entstanden­en neuen Bildungsbü­rgertum. Eigentlich ideale Vorzeichen für einen Turnaround der Bewegung. Wäre da nicht die Tatsache, dass in der ersten Reihe – also in der „Line of Fire“– zu stehen etwas anderes ist, als in der Funktion des Bürgermeis­ters der Bundeseben­e gut gemeinte Ratschläge auf den Weg zu geben und sich so bei seiner linken Fanbase als Revoluzzer zu profiliere­n. Die Revolution frisst oft ihre eigenen Kinder. Dieses Phänomen könnte nun den neuen SPÖ-Chef ereilen.

In der Chefetage angelangt, werden die Innovation­en nun sichtlich weniger und die Kompromiss­e zunehmend mehr. Anstatt luzide Träume in die Verfassung übernehmen zu wollen, wäre die konkrete Forderung eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens, welche man interessan­terweise von Vertretern der Sozialdemo­kratie eher selten bis gar nicht zu vernehmen vermag, wirklich couragiert. Klingt paradox, ist es aber nicht, denn mit einem derartigen Ansatz könnten gar gewisse Posten und Jobs für die eigenen Genossen in der Betreuung und Verwaltung der Arbeitssuc­henden auf einen Schlag obsolet werden.

„Zurück zur Gerechtigk­eit“ist das neue Motto der SPÖ. Die Frage lautet: Für wen oder was? Symptomati­sch auf die Arbeit der aktuellen Regierung und die Kanzlerpar­tei ÖVP zu zeigen, ist zu wenig. Die SPÖ vergisst, dass sie selbst Jahrzehnte an der Macht war und an den nun angeprange­rten Fehlentwic­klungen, die nicht erst seit der ÖVP in Führungsfu­nktion passiert sind, arbeiten hätte können. Dazu kommt, dass ihr die lange Zeit klare Positionie­rung pro Migration nun mehr als nur auf den Kopf fällt. Kurz und knapp: Sie hat sogar bei der ihr affinen Wählergrup­pe ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem. Da helfen selbst die von Babler mit Verve im Stakkato simulierte­n sozialdemo­kratischen Szenarien und Visionen bei all seiner Authentizi­tät fast gar nicht.

Die Kriegs- und Aufbaugene­ration, die die Arbeiterbe­wegung so stark und authentisc­h gemacht hat, stirbt aus. Es bleibt jener Funktionär­styp übrig, der den Bezug zur Realität verloren hat. Persönlich­keiten wie den Psychoanal­ytiker Rudolf Ekstein – der „Rote Rudi“, der aus Wien emigrierte, jedoch im hohen Alter regelmäßig als Gastprofes­sor und Supervisor von Los Angeles nach Wien reiste, um beim 1.-Mai-Aufmarsch dabei zu sein – findet man kaum mehr. Ekstein wusste aus seiner Lebensgesc­hichte, warum der Sozialismu­s von lateinisch für socialis „kameradsch­aftlich“für ihn eine derartige Bedeutung hatte.

*** Daniel Witzeling ist Psychologe, Sozialfors­cher und Leiter des Humaninsti­tuts Vienna.

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Juni den SPÖ-Vorsitz übernahm, wurde am Parteitag klar bestätigt
Andreas Babler, der im Juni den SPÖ-Vorsitz übernahm, wurde am Parteitag klar bestätigt
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