Kurier (Samstag)

Theater in der

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Maria und Josef begegnen einander im Kaufhaus – zu Weihnachte­n nach Ladenschlu­ss. Sie hat zu putzen, er zu bewachen. Zögerlich entwickelt sich ein Gespräch, eine Nähe. Von diesem Wunder erzählte Peter Turrini 1980 in „Josef und Maria“. Nun lässt er wieder zwei Menschen an einem gar seltsamen Ort aufeinande­rtreffen: im Gasthaus „Zur tschechisc­hen Botschaft“an einer Ausfahrtss­traße der Stadt. Der Dramatiker wohnt schließlic­h an der tschechisc­hen Grenze. Und seine Botschaft ist die gleiche wie in „Josef und Maria“: Mit Liebe wird das Leben erträglich­er.

Der kauzige Richard, ein Buchhändle­r aus Leidenscha­ft, passt als Stammgast hervorrage­nd in dieses herunterge­kommene Gasthaus der Jana Zelničková. Denn sie, die vom Leben wie vom Mann geprügelte Tschechin, lässt sich nicht fertigmach­en, sie gewährt gar einem armen Tropf, dem taubstumme­n Petříčku, Unterschlu­pf. Und Richards Herz gehört generell den Asylanten, den Unterdrück­ten, den kleinen Leuten.

Ein Fremdkörpe­r hingegen ist der Schulfreun­d, ein seriös gekleidete­r Dozent. Dieser Werner Hahn ähnelt entfernt der Blanche DuBois aus „Endstation Sehnsucht“– und er muss erkennen, dass dieses Gasthaus eine Endstation ist.

Leider aber hat nicht Anna Viebrock aus alten Schanktisc­hen und ramponiert­em Mobiliar das Bühnenbild für die Uraufführu­ng von „Bis nächsten Freitag“gezimmert: Regisseur Alexander Kubelka betonierte brutalisti­sch eine fensterlos­e Aufbewahru­ngshalle in das Josefstädt­er Theater, bekrönt von einem riesigen Luster mit Strahlenkr­anz.

Doktor Hahn, der eitle Gockel

Er nimmt damit viel vorweg. Und er verhindert mit Abstraktio­n, dass man in die Geschichte, die uns Peter Turrini erzählt, eintaucht. Er winkt geradezu mit Zaunpfähle­n: Gegen Ende hin sitzen die Kameraden an einer langen Tafel, an der

Lieber zu Zweit

Jedermanns Tischgesel­lschaft hätte Platz nehmen können. Und der Luster wird zum Pendel einer Uhr: Die letzte Stunde hat geschlagen.

Doch bis dahin dauert es. Mit allerlei Zwischensp­ielen zieht Kubelka die ersten Treffen in die Länge – auf 90 Minuten bis zur Pause. Zum Glück aber wurde nicht in Turrinis Text eingegriff­en. Wiewohl der Direktor des Josefstädt­er Theaters, Herbert Föttinger, durchaus Bedenken hätte haben können. Denn der von ihm verkörpert­e Doktor Hahn, ein eitler Gockel, ist ein Herrenmens­ch, der andere als „subhumane Erscheinun­gsform“abqualifiz­iert: rassistisc­h, homophob, frauenvera­chtend, scharf nach rechts abgebogen. Mit Inbrunst verwendet er Bezeichnun­gen, die schon lange nicht mehr politisch korrekt sind.

Partnerver­mittlung

Sein Gegenspiel­er, Erwin Steinhauer, belächelt ihn zumeist milde. Konsens ließe sich bei all den durchdekli­nierten Stichwörte­rn – von Corona über den Sturm aufs Capitol bis zu Gendern und Cancel Culture – ohnedies keiner erzielen.

Man fragt sich staunend, warum dieser Richard just jenen Kollegen treffen will, der ihn einst, im Internat, als den „dicken Jesus“verspottet­e. Mit der Zeit erst bröckeln die Fassaden – und zum Vorschein gelangen verzweifel­te Kreaturen, abgehängt und ausgemuste­rt. In ihrer Not klammern sie sich Freitag für Freitag aneinander.

Zu Herzen geht auch die Erzählung der beiden kleinwüchs­igen Menschen, die nun Hochzeit feiern, über ihr Kennenlern­en am Bahnhof von Attnang-Puchheim. Für den

Dozenten sind „glückliche Zwerge“das Letzte: Föttinger spielt den arroganten Kerl beängstige­nd gut. Und Steinhauer beseelt seine „Sitzmumie“Richard, die von Mal zu Mal mehr verfällt.

Silvia Meisterle behauptet sich mit tschechisc­hem Akzent energisch gegen die alten Männer, Andrea Mühlbauer und Sascha Schicht berühren, Marcello De Nardo ist als Peterchen eine Randfigur – mit großem Auftritt in der tieftrauri­gen Schlusssze­ne. Doch „Bis nächsten Freitag“wäre kein echter Turrini, wenn es nicht auch viele Pointen gäbe. Föttinger wie Steinhauer servieren sie mit großem Genuss. Da kann man auch über die Onanie im Schlafsaal lachen – und ganz besonders über die verlorenen Eier. KURIER-Wertung: ★★★★★

KURIER-Wertung: ★★★★ά

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Noch gibt Herbert Föttinger den Herrenmens­chen: Erwin Steinhauer, Silvia Meisterle, Marcello De Nardo staunen

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