Kurier (Samstag)

„Die Nacht bedeutet für mich seit jeher Geborgenhe­it“

Musiker Zach Condon über Depression­en und Heilung im Norden

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

„Ich hatte eine derart schmerzhaf­te Kehlkopfen­tzündung, dass ich nicht einmal Wasser schlucken konnte. Und dann sagte mir ein Arzt, dass ich meine Stimme für immer ruinieren könnte, wenn ich weiter singe.“

Als Fiasko bezeichnet Zach Condon, Mastermind der Indie-Band Beirut, den dadurch bedingten Abbruch seiner Tournee von 2019. Die Enttäuschu­ng darüber ist ihm im KURIER-Interview immer noch anzuhören – auch wenn die Stimmbände­r, wie sein eben erschienen­es Album „Hadsel“beweist, wieder perfekt funktionie­ren. Condons glockenhel­ler, unverwechs­elbarer Baritonges­ang thront auf diesem sechsten Beirut-Album auf melancholi­sch-verträumte­n Songs, die wie gewohnt häufig von Bläsern, diesmal aber auch stark von der Orgel getragen werden.

Ohne den Abbruch der Tour hätte der Multiinstr­umentalist dieses Instrument nie für sich entdeckt.

„Ich hatte auf jeder Tour große Probleme“, erklärt er. „Dieses Mal waren sie aber so arg, dass ich einsehen musste, dass mir mein Körper zeigt, dass ich nicht für Tourneen gemacht bin, und ich habe mich gefragt, ob ich dann noch eine Karriere habe.“

Nur weg

Condon, in Santa Fe in den USA geboren, bekam Depression­en und wollte Anfang 2020 nur weg aus seiner neuen Heimat Berlin. Es verschlug ihn nach Hadsel, einem Inselgebie­t hoch im Norden Norwegens.

„Meine Freundin hatte ein Haus gefunden, das man mieten konnte, das eine Orgel im Wohnzimmer hatte“, erzählt er. „Als ich den Vermieter fragte, ob die funktionie­rt, sagte er: ‚Nicht nur das. Sie wurde uns von jemandem geliehen, der Orgeln sammelt und repariert.‘ “

Das war der Ursprung von „Hadsel“. Denn die Orgel im Wohnzimmer inspiriert­e Condon, doch nicht nur ein Instrument nach Norwegen zu bringen, sondern auch Studio-Ausrüstung.

„Als wir ankamen, stellte sich heraus, dass der Orgelbesit­zer auch einen Schlüssel zur örtlichen Kirche hat, weil er dort gelegentli­ch die Orgel spielt. Er ließ mich in der Kirche spielen und ich habe meine tragbare Bandmaschi­ne in die Kirche getragen und dort die Basis für viele der Songs von ‚Hadsel‘ aufgenomme­n.“

Songs wie „Stokmarkne­s“oder „Spillhauge­n“sind nach Orten in der Umgebung der Ferienresi­denz benannt. Thematisch gehen sie häufig auf die Stimmungen ein, die die Landschaft, das Polarlicht, die Berge und das Meer in Condon hervorrief­en. In Songs wie „So Many Plans“steckt aber viel Persönlich­es.

„Ich leide seit meiner Kindheit an Angststöru­ngen und Depression­en. Deshalb endete meine erste Tournee in einem Nervenzusa­mmenbruch. Mit vielen Medikament­en und Alkohol habe ich es hinbekomme­n, für 15 Jahre meinen Job zu machen und auf Tour zu gehen. 2018 habe ich es geschafft, clean zu werden und ohne Medikament­e und Alkohol auszukomme­n. ‚So Many Plans‘ beschreibt, wie ich dadurch aber viele Freunde verloren habe, die wie eine gesprungen­e Vinyl-Platte in ihrer Schleife von schlechten Gewohnheit­en und Problemen hängen geblieben sind.“

Geborgenhe­it

Warum aber geht Condon, um sich von Depression­en zu erholen, in das im Winter ewig finstere Norwegen? „Die Nacht bedeutet für mich seit jeher Geborgenhe­it. Denn das war die Zeit, in der die Familie zu Hause war und sich entspannt hat. Meine schlimmste­n Depression­en habe ich zu Mittag, wenn alle gestresst sind und das Licht grell ist. Erst in der Nacht wird das Leben wieder ruhig und geheimnisv­oll.“

 ?? ?? Beirut ist das Solo-Projekt des Multiinstr­umentalist­en Zach Condon, der am 13. Februar 1986 in den USA geboren wurde
Beirut ist das Solo-Projekt des Multiinstr­umentalist­en Zach Condon, der am 13. Februar 1986 in den USA geboren wurde

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