Erste Geiseln sind frei
Die Hamas übergab 13 Israelis und 11 Arbeiter aus Thailand und den Philippinen – 24 von 241 Verschleppten. Weitere Austausche sollen folgen. Die Terroristen nutzen die Kampfpause, um sich zu sammeln.
Am Grenzübergang Rafah im Süden des Gazastreifens zu Ägypten drängten sich die Journalisten, die Autos hupten. Ganz Israel hatte seit dem 7. Oktober auf diesen Moment gewartet: Am frühen Freitagabend durfte die erste Gruppe der von der Hamas Verschleppten raus aus dem Gazastreifen. 13 israelische, darunter Frauen und Kinder, das jüngste zweieinhalb Jahre alt, zehn thailändische und ein philippinischer Arbeiter, zunächst also 24 von 241; im Gegenzug wurden 39 palästinensische Häftlinge, Frauen und Jugendliche, im Jordanland übergeben.
Zeitgleich schwiegen die Waffen, zum ersten Mal seit dem Terroranschlag der Hamas. Knapp sieben Wochen lang hatte sich Israel mit den radikalen Palästinensern Kämpfe geliefert; die Zahl der toten Zivilisten im Gazastreifen liegt schon bei knapp 15.000, behauptet die Hamas.
Weitere Zugeständnisse
Hält die Waffenruhe von beiden Seiten, sind bis zum kommenden Mittwoch weitere Freilassungen mit täglich je zehn Geiseln und etwa 50 Häftlingen abgemacht. Arabische Medien berichten von laufenden Verhandlungen über weitere Austauschrunden und Verlängerungen der Feuerpause. Wieder mit der diplomatischen Hilfe Katars, Ägyptens und der USA.
Ein Indiz für weitere Zugeständnisse Israels zeigte sich bereits vor dem Oberstem Gericht: Ultrarechte Organisationen hatten gegen die Freilassung Dutzender verurteilter palästinensischer Terroristen Widerspruch eingelegt. Die Eingaben wurden abgeschmettert. Israels Regierung ließ aber vorsorglich eine Namensliste mehrerer Hundert Häftlinge juristisch absegnen – das soll ihr wohl weitere Beschwerden über zukünftige Deals ersparen.
Neben der Feuerpause an den Austauschtagen gibt es noch eine Gegenleistung Israels. Zu verabredeten Zeiten wird die Armee Aufklärungsflüge über dem Gazastreifen einstellen. Eine Maßnahme, auf die die Hamas unter keinen Umständen verzichten wollte. Letztlich braucht die Terrororganisation die Kampfpause wie die Luft zum Atmen.
Trotzdem wird die Hamas wohl jeden weiteren Austauschtag für einen Nervenkrieg
nutzen, mit unerwarteten Verzögerungen oder der Verbreitung von Fake News. Militärische Kampfpause, aber keine Pause im psychologischen Krieg gegen die Angehörigen der Geiseln.
So kam es schon am Freitagmorgen kurz nach Beginn der Feuerpause wieder zu kurzem Beschuss israelischer Grenzdörfer. Das ist die „obligatorische Verspätung“, wie sie den Israelis schon aus früheren solcher Deals kennen. Die Zivilbevölkerung ist darum auch in der Kampfpause angehalten, sich in Bunkernähe aufzuhalten.
Geiseln gehen vor
Auch militärisch wird die Hamas die Kampfpause nutzen. Die Kämpfe haben große Teile ihrer unterirdischen Kampfzellen abgeschnitten. „Sie müssen aus ihren Löchern kriechen, um sich neu aufzustellen, zerstörte Kommunikationslinien auszubessern und Nachschub einzuholen“, sagen Militärexperten. Die Einstellung der Drohnenflüge soll die israelische Armee daran hindern, versteckte Tunneleinstiege und Truppenbewegungen der Hamas aufzuspüren. Trotzdem akzeptierten Armee und Geheimdienste den Austausch. Geiselfreilassung kommt vor Kampfvorteil.
Die Zeit braucht die Hamas aber auch, um jene Geiseln zu finden, die nicht in ihrer Hand sind. Einige hält der Islamische Dschihad gefangen, der auch im Gazastreifen aktiv ist. Er hat seine eigenen Interessen und wird den Alleinvertretungsanspruch der Hamas wohl nicht akzeptieren – seine Geiseln wird sich der Dschihad nicht einfach nehmen lassen. Selbiges Schicksal erwartet jene Menschen, die in der Hand anderer Clans in Gaza sind.
International wird demnächst wohl die Ausweitung der Feuerpause in einen Waffenstillstand gefordert werden. Schließen sich die USA da an, wird Israel langfristig nicht Nein sagen können. „Für Israels Regierung wäre dies nach dem Versagen am 7. Oktober eine weitere Niederlage“, schrieb die Zeitung Maariv am Donnerstag.
Sie meldete auch, dass Premier Netanjahu einen Deal mit der Staatsanwaltschaft anpeilen soll. Wird das gegen ihn laufende Strafverfahren wegen Korruption eingestellt, könnte er dann nach einem erzwungenen vorzeitigen Kampfende einfach zurücktreten.