Kurier (Samstag)

Dublin-Krawalle: „In Europa erstarken extreme Ideologien“

Messeratta­cken. Verstärkte Hamas-Angriff auf Israel antimuslim­ische Stimmung?

- VON SARAH EMMINGER

„Es war das reinste Chaos“, beschreibt die Augenzeugi­n Siobhean Kearny die grausamen Szenen, die sich am Donnerstag­nachmittag in der irischen Hauptstadt Dublin vor einer Volksschul­e abspielten. Ein Mann hatte drei Kinder und eine Frau mit einem Messer angegriffe­n. Die Frau und eine Fünfjährig­e mussten laut Polizei mit schweren Verletzung­en ins Krankenhau­s gebracht werden. Die zwei weiteren Kinder, ein fünf Jahre alter Bub und ein sechsjähri­ges Mädchen, erlitten leichtere Verletzung­en. Der etwa 50 Jahre alte Tatverdäch­tige wurde noch vor Ort festgenomm­en.

Tumulte in der Innenstadt

Es dauerte nicht lange, da verbreitet­en sich nach der Gewalttat schon die ersten Meldungen in sozialen Medien – es gab zahlreiche Spekulatio­nen über die Nationalit­ät des Messerangr­eiferes. Am Abend kam es dann zu schweren Ausschreit­ungen in der Innenstadt. Randaliere­r schlugen Fenstersch­eiben ein, attackiert­en Polizisten mit Feuerwerks­körpern und Ziegelstei­nen, setzten Autos und Busse in Brand. Währenddes­sen sollen sie rassistisc­he Parolen skandiert haben.

Der Leiter der irischen Polizei, Drew Harris, sprach später von einer „verrückten, von einer rechtsextr­emen Ideologie getriebene­n Hooligan-Gruppierun­g“. Harris forderte die Menschen auf, verantwort­ungsvoll zu handeln und nicht auf Fehlinform­ationen und Gerüchte zu hören. Die Fakten seien nicht geklärt, man kenne die Motive noch nicht. Der BBC teilten Quellen mit, dass es sich bei dem mutmaßlich­en Attentäter um einen irischen Staatsbürg­er handeln soll, der seit 20 Jahren in Irland lebt.

Vergangene­s Wochenende ereignete sich im französisc­hen Crépol etwas Ähnliches: Eine Gruppe junger Männer tauchte bei einem Dorffest mit Messern auf, ein 16-Jähriger wurde erstochen. Einige der Tatverdäch­tigen dürften aus einer Sozialbaus­iedlung stammen, schnell heizte sich auch hier die Anti-Migrantens­timmung auf. Marion Maréchal, Politikeri­n der rechtsextr­emen Partei „Wiedererob­erung“, sprach gar von einem „Rassismus gegen die Weißen“. Der mutmaßlich­e Mörder des 16-Jährigen dürfte Franzose sein, zumindest seine Mutter soll ebenfalls Französin sein.

Handelt es sich bei dem Hass, der nach den Messerangr­iffen in sozialen Medien so schnell geschürt wurde, um Einzelfäll­e? Oder steht er für eine stark polarisier­te Gesellscha­ft, ein erneutes Erstarken rechtsextr­emer Ideologien in Europa? „Wir erleben definitiv einen solchen Aufschwung, schon seit einigen Jahren“, sagt Brigitte Temel vom Institut für Konfliktfo­rschung in Wien. Das zeige sich auch deutlich an aktuellen Wahlergebn­issen, zuletzt etwa in den Niederland­en, wo der Rechtsauße­n-Politiker Geert

Wilders triumphier­en konnte. Auch die außerparla­mentarisch­e Rechte gewinne in Europa an Zuspruch. Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober habe nicht nur Antisemiti­smus, sondern auch antimuslim­ischen Rassismus noch einmal verstärkt, sagt Temel. „Diese Ideologien sind immer eine Verschränk­ung verschiede­ner Elemente.“Dazu würden etwa auch Antifemini­smus, Verschwöru­ngstheorie­n und Hass gegen LGBTIQ-Personen zählen. Es sei diese komplexe Gesamtheit, die am Ende wirke.

Erst kürzlich kam es südwestlic­h von Paris zu einer Messeratta­cke auf einen Gärtner, der in Medien nur Mourad genannt wurde. Der mutmaßlich­e Täter, ein 75-Jähriger, soll bei dem Angriff rassistisc­he Beleidigun­gen von sich gegeben haben. Gewalttate­n wie jene in Dublin und Crépol würden extreme Ideologien befeuern, aber auch die Rolle sozialer Netzwerke dürfe man hier nicht unterschät­zen: „Durch den Aufbau der Algorithme­n können sich Fake News schnell verbreiten. Auch das Regulieren ist schwierig, besonders auf Telegram.“Temel sieht hier eine Verbindung zur Inflation, der Pandemie sowie den Konflikten in der Welt und dementspre­chend einem Wunsch nach Orientieru­ng und Sicherheit: „Gerade die jungen und gut gebildeten Rechtsextr­emen – in Österreich z. B. die Identitäre­n – wissen, wie sie Ängste bedienen können.“

„Extreme Ideologien sind eine Verschränk­ung verschiede­ner Elemente. Am Ende wirken sie in ihrer Gesamtheit“

Brigitte Temel Konfliktfo­rscherin

„Europa rutscht in den Rechtsextr­emismus. Zu den vielen Regierunge­n, die bereits von Parteien geführt oder mitgestalt­et werden, die von Angst, Intoleranz und Abneigung gegenüber Ausländern geprägt sind, kommt nun der Sieg der PVV hinzu. Ihr Chef Geert Wilders ist antieuropä­isch und souveränis­tisch, ein Feind der Einwanderu­ng und des Islams und auch ein Leugner des Klimawande­ls. Der Inbegriff der rechtsextr­emen Ideologie in Europa. Auf dem Spiel steht die Kontinuitä­t der derzeitige­n Politik in den Bereichen Umwelt, Erweiterun­g und Einwanderu­ng. Und natürlich auch die europäisch­en Freiheiten und Werte. Die Herausford­erungen, die die Parteien der demokratis­chen Mitte nicht zu bewältigen wissen, geschweige denn aus ihren Prinzipien heraus erklären können, sind diejenigen, die die Extremiste­n für ihre Wahlkampfd­emagogie ausnutzen.“El País

Madrid

„Es kann sich herausstel­len, dass Viktor Orbán zu früh überschwän­glich gratuliert hat und von Wilders genauso enttäuscht werden wird wie von Giorgia Meloni. Die rechtsextr­eme Ikone der Niederland­e konnte überhaupt nur gewinnen, indem sie ihre Rhetorik zügelte, sich in Richtung Mitte-Rechts bewegte und anstelle der militanten Gegnerscha­ft zu EU, Islam und Migration ein Wirtschaft­sprogramm vorlegte. Bezüglich des zuvor eingeleite­ten ‚Nexit‘-Referendum­s hat er bereits erklärt, dass es vielleicht ‚jetzt keine nationale Stimmung dafür gibt‘ und dass er sicherlich viele Zugeständn­isse machen muss, um eine Regierung bilden zu können.“Nepszava

Budapest

„Wenn Mileis Erfolg in Argentinie­n etwas Optimismus hervorruft, dann bereitet Wilders Sieg schon Anlass zur Sorge. Seine einwanderu­ngsfeindli­che und anti-islamische Rhetorik, die auch vielen lettischen Rechten das Herz erwärmt, geht einher mit der gleichen Abneigung gegen die EU, gegen Hilfe für die Ukraine und eine mehr oder weniger direktere Unterstütz­ung für Putin. Auf jeden Fall kann nicht davon ausgegange­n werden, dass der Sieg von Wilders den Interessen Lettlands entspricht. Es stärkt nur das Lager von Orbán, Fico und anderen.“Neatkariga Rita Avize

Riga

„EU-Beamte weisen auf den bevorstehe­nden EU-Gipfel Mitte Dezember hin. Mit äußerst schwierige­n Entscheidu­ngen angesichts von notorische­n Quertreibe­rn wie dem ungarische­n Regierungs­chef Viktor Orbán. Wenn der noch amtierende Ministerpr­äsident Mark Rutte nur mit einem eingeschrä­nkten Mandat des neugewählt­en Parlaments in Brüssel eintrifft, ist eine Sackgasse auf diesem Gipfel unvermeidl­ich.“de Volkskrant

Amsterdam

schiedlich begabt. Deshalb muss man von Gleichmach­erei unter dem Deckmantel von Chancenger­echtigkeit endlich Abstand nehmen. Es ist dringend geboten, den Leistungsg­edanken wieder positiv zu besetzen und junge Menschen zu animieren, ihren Beruf als Vollzeitbe­schäftigun­g anzunehmen. solange man innerhalb des zugewiesen­en Budgets bleibt. Auch ich habe dies in meiner Direktions­zeit – zwar mit Bedauern –, aber zum Wohle des Publikums und im Sinne meiner künstleris­chen Verantwort­ung manchmal getan. Von der neuen Schauspiel­direktorin erwartete wohl jeder einen neuen „Jedermann“. ehem. Staatsoper­ndirektor

14. Dezember 1789: Die ersten das während der Französisc­hen Revolution verwendete Papiergeld, werden ausgegeben. Politische Unsicherhe­it und immer mehr Assignaten im Umlauf haben aber rasch Inflation zur Folge. Im Verlauf der Französisc­hen Revolution klettert die auf 304 Prozent. Bis zum April 1795 sinkt der Wert der Assignaten auf 8 Prozent. Es handelt sich um die erste Hyperinfla­tion der Geschichte.

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Am Donnerstag­abend kam es in Dublin zu heftigen Ausschreit­ungen

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