Kurier (Samstag)

Warum es ein Zitierverb­ot aus Gerichtsak­ten nicht braucht

Die Pressefrei­heit ist nicht absolut, schrieb Ministerin Edtstadler. Eine Replik

- TERESA EXENBERGER Teresa Exenberger

Die Pressefrei­heit ist nicht absolut, sagt die Verfassung­sministeri­n. Auch ein Zitierverb­ot darf das nicht sein, sagt die Verfassung.

Vor einigen Tagen hat an dieser Stelle die Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler versucht, das von ihr geforderte Zitierverb­ot aus Gerichtsak­ten zu rechtferti­gen. Ja, die Pressefrei­heit gilt – wie fast jedes Menschenre­cht – nicht absolut, sondern es muss im Sinne der Verhältnis­mäßigkeit immer eine Abwägung der beeinträch­tigten Rechtsgüte­r vorgenomme­n werden.

Nicht alles darf jederzeit in den Medien veröffentl­icht werden. Bereits jetzt müssen Journalist­innen und Journalist­en, damit sie unter bestimmten Voraussetz­ungen aus Ermittlung­sakten zitieren können, eine strenge Abwägung zwischen dem öffentlich­en Interesse der Gesellscha­ft und etwa den Persönlich­keitsrecht­en von Betroffene­n treffen. Dies ist, wie gesagt, nicht neu, sondern findet sich in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK), die in Österreich

Verfassung­srang hat, samt entspreche­nder Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR), die bindend ist. Das von der Verfassung­sministeri­n geforderte Zitierverb­ot zum Schutz der Betroffene­nrechte braucht es daher gar nicht, und ein absolutes Zitierverb­ot wäre sogar verfassung­swidrig. Denn es würde die Pressefrei­heit unverhältn­ismäßig – und ohne Betrachtun­g des Einzelfall­es – einschränk­en, und damit das Interesse der Öffentlich­keit, über gewisse Dinge informiert zu werden.

Auch wenn die Ministerin Unterstütz­ung aus anderen Ländern sucht: Das von ihr vielfach erwähnte Zitierverb­ot in Deutschlan­d ist mehr als umstritten und Expertinne­n und Experten bewerten die deutsche Regelung als nicht menschenre­chtskonfor­m. Die Bestimmung würde wohl bei einer Anfechtung vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f angesichts dessen neuerer Rechtsprec­hung nicht halten. Und auch die von der Ministerin genannte Entscheidu­ng Bédat v. Switzerlan­d aus dem Jahr 2016 des

EGMR gilt laut Medienrech­tsexpertin Windhager als nicht einschlägi­g, sprich in der Sache grundsätzl­ich nicht richtungsw­eisend.

Paradox ist, dass von der ÖVP das Zitierverb­ot unter dem Motto „Stärkung von Beschuldig­tenrechten“diskutiert wird. Laut § 54 Strafproze­ssordnung haben Beschuldig­te das Recht, Informatio­nen aus Akten weiterzuge­ben. In der Praxis ist es also oftmals so, dass Akteninhal­te gerade aufgrund dieser möglichen Weitergabe in die Medien kommen – weil das die Beschuldig­ten eben wollen – und erst durch Journalist­innen und Journalist­en die genannte Abwägung getroffen und entschiede­n wird, ob die Informatio­nen im öffentlich­en Interesse stehen und veröffentl­ich werden können oder nicht.

Offen bleibt übrigens die Frage, wieso es überhaupt eine Änderung der derzeitige­n Rechtslage zum Schutz der Betroffene­n braucht und ob es nicht vielmehr schlicht um den Wunsch der Ministerin geht, die Pressefrei­heit einzuschrä­nken, weil die Arbeit der Medien als „public watchdog“politisch auch unbequem sein kann.

*** ist Juristin und arbeitet bei Amnesty Internatio­nal Österreich.

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Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler (ÖVP) bei einer Rede im Verfassung­sgerichtsh­of
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