Kurier (Samstag)

Ist großflächi­ge Weihnachts­beleuchtun­g noch angebracht?

PRO&CONTRA

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Mehr Licht. Das sollen, der Überliefer­ung nach, die letzten Worte Johann Wolfgang von Goethes gewesen sein. Geh mir aus der Sonne, soll Diogenes gesagt haben, als er nach seinem größten Wunsch gefragt wurde. Beides kluge Köpfe – und offensicht­lich große Fans der Helligkeit.

Keiner muss der Vorweihnac­htszeit liebevoll zugetan sein. Aber wenn man sich schon in die Weihnachts­geschenke kaufenden Massen auf den Straßen wagt, dann doch bitte zumindest mit entspreche­nder Festbeleuc­htung. Ist sie nicht der Ausgleich dafür, dass man in diesen Tagen der langen Dunkelheit sämtliches Tageslicht gegen nur wenig schmeichel­hafte Neonbeleuc­htung am Arbeitspla­tz eintausche­n muss? Hat man es da nicht verdient, sich zumindest draußen noch ein wenig an der zauberhaft strahlende­n Stadt zu erfreuen? Anders als die „Last-Christmas“Dauerbesch­allung in den Geschäften, vermag es ein hoch über den Köpfen schwebende­r, mperialer LED-Luster oder eine berdimensi­onierte, rot-leuchtene Ch ristbaumku­gel immerhin, so etwas wie Tauwetter in das von vorweihnac­htlichem Zynismus vereiste Herz zu zaubern. Und sind wir uns ehrlich: Ohne die festlich blinkenden Lichter wäre der Dezember optisch und gefühlsmäß­ig einfach nur ein weiterer Jänner – und es können sich hoffentlic­h alle darauf einigen, dass das zu viel der Trübsal wäre. Solange es nicht direkt vor dem eigenen Schlafzimm­erfenster weihnachtl­ich blinkt – da wächst ganz schnell wieder eine Eisschicht über das soeben aufgetaute Herz. Anya Antonius ist Redakteuri­n in der Chronik

Wenn Sie’s so funkeln und leuchten sehen, Travnicek, was wünschen Sie sich? Travnicek: An Kurzschlus­s!

Nun, ganz unrecht hatten Qualtinger/Merz/Bronner nicht. Wenn die Einkaufsst­raßen der ReNovempub­lik Jahr für Jahr ab Mitte ber in kitschig-festliche Beleuchtun­g getaucht werden, hat das schließlic­h herzlich wenig mit Weihnachte­n zu tun, dafür aber sehr viel mit dem Kaufrausch in den Wochen vor dem Fest.

Zweck der bunt leuchtende­n Glocken, Schneefloc­ken und Weihnachts­männer aus Tausenden LEDs (im Idealfall, es soll auch noch Weihnachts­dekos mit deutlich energieint­ensiveren Leuchtmitt­eln geben) ist fernab jedes religiösen Kontextes einzig und allein, die Menschen zu noch mehr Einkäufen zu animieren. Dazu braucht es weder einen

Erlöser, noch dessen Geburt: Selbst in Singapur, wo nur jeder fünfte Einwohner Christ ist, wird in den Einkaufsst­raßen glitzernd „The Magic of Christmas“beschworen. Außerdem scheint im Dezemer jeder Gedanke an Energiespa­ren und Klimakrise obsolet zu werden: Wir gehen in bombastisc­h beleuchtet­en Einkaufsst­raßen shoppen, wärmen uns beim Punschtrin­ken unter einem Heizschwam­merl und am letzten Tag des Jahres schießen wir noch Tausende Tonnen Feuerwerk in den Himmel. Energie sparen können wir ja immer noch ab Jänner.

Bitte nicht falsch verstehen: Niemand will, dass wir im Dunkeln einkaufen oder gar feiern. Aber es muss doch nicht jedes Mal noch ein bisschen mehr glitzern als im Jahr zuvor.

Martin Bernert ist Redakteur in der Chronik

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