Kurier (Samstag)

Krieg + Pandemie = Inflation + Zerfall

Die aktuelle Inflation sorgt für Unruhe, ist aber nicht vergleichb­ar mit den Hyperinfla­tionen in der Geschichte der Menschheit. Manchmal gibt es freilich interessan­te Parallelen

- 1922: 22 Milliarden Prozent Inflations­rate von TEXT WOLFGANG UNTERHUBER, SUSANNE MAUTHNER-WEBER Die radikale Geldentwer­tung |NFOGRAF|K PILAR ORTEGA

Die Inflation hat Österreich nach wie vor im Griff. Wobei unser Land immer wieder von Inf lationskri­sen heimgesuch­t wurde. Besonders dramatisch war die Lage nach den beiden Weltkriege­n. Da grassierte die Hyperinfla­tion. Von Hyperinfla­tion spricht man , wenn die monatliche Inflations­rate über 50 Prozent beträgt. So hierzuland­e geschehen etwa nach der Niederlage von 1918. Da stand Österreich vor einem gigantisch­en Schuldenbe­rg. Man musste die Staatsschu­lden der ehemaligen Monarchie übernehmen sowie Kriegsanle­ihen,Invaliden-,Witwen-und Waisenrent­en bezahlen. Zusätzlich waren Reparation­szahlungen zu leisten. Um die enorme Last zu bewältigen, warf der Staat die Notenpress­e an und steigerte die

Geldmenge dramatisch. Erst mit der Zusage einer großen Anleihe des Völkerbund­s in Genf konnte Ende August 1922 die Inflations­spirale zum Stillstand gebracht werden. 1925 wurde dann die neue Währung eingeführt. 10.000 Kronen wurden zu einem Schilling. Die Hilfe aus dem Ausland hatte jedoch einen Haken: Österreich durfte sich nicht verschulde­n. Somit waren Investitio­nen in die Infrastruk­tur nahezu unmöglich.

Es gibt viele Beispiele von Hyperinfla­tion in der Geschichte der Menschheit. Vor über zehn Jahren haben die beiden US-Forscher Steve Hanke und Nicholas Krus von der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, in einer Studie nicht weniger als damals 57 Hyperinfla­tionen in der neueren Zeit aufgeliste­t. Argentinie­n

Schwere Inflatione­n im Laufe der Geschichte 16. Jahrhunder­t: Die sogenannte Preisrevol­ution gilt als erste Inflation in Europa. Edelmetall­abbau und -importe aus der Neuen Welt sorgen dafür, dass immer mehr Geld im Umlauf ist. Die Folge: Die Preise steigen. Wird darauf mit der Produktion von noch mehr

Geld reagiert, beginnt ein Teufelskre­is, der in einer Hyperinfla­tion enden kann.

(aktuell 140 Prozent) oder die Türkei (über 60 Prozent im Oktober) waren da also noch nicht dabei.

Ursachen immer gleich

Zu den schlimmste­n Hyperinfla­tionen in der Geschichte zählt laut Hanke und Krus die deutsche Krise von August 1922 bis Dezember 1923. Wie in Österreich warf auch da die Regierung die Notenpress­e an, um Kriegsschu­lden und Reparation­szahlungen quasi ad absurdum zu führen. Das ging auf Kosten der Sparbücher des Mittelstan­des. Eine Währungsre­form und Kredite der Amerikaner stabilisie­rten das Land dann vorübergeh­end.

Die Ursachen von Inflation oder Hyperinfla­tion sind historisch betrachtet übrigens mehr oder weniger immer dieselben, wie die Studie der beiden Forscher zeigt.Dazuzählen­vorallemKr­ieg, politische­s Missmanage­ment oder der Übergang von einer Wirtschaft­sform zu einer anderen, wie der Plan- zur Marktwirts­chaft.

Und manchmal wiederholt sich die ganze Sache auch ein wenig. So offenbart die Wirtschaft­sgeschicht­e des Römischen Reiches einige Parallelen mit der Gegenwart. Nach Jahrhunder­ten der Kriege folgte (wie heute in der westlichen Welt nach 1945) ab dem ersten Jahrhunder­t eine Zeit relativer ökonomisch­er Stabilität. Dann aber, ab dem Jahr 165, bricht eine Pandemie aus. Die Pest. Historiker schätzen, dass dabei 10 bis 30 Prozent der Einwohner des Imperiums ums Leben kommen. Mit fatalen Folgen.

Wenn zum Beispiel in der Landwirtsc­haft niemand mehr da ist, der das Getreide ernten kann, wird das Angebot knapp, und die Preise explodiere­n. Schon damals wurde versucht, die Preise zu regulieren. Was aber nur die Schattenwi­rtschaft beflügelte.

Pandemie, Inflation und dazu ständig neue Kriege haben ab dem dritten Jahrhunder­t die Wirtschaft Roms und damit die politische Ordnung zerrüttet. Das Reich ging unter. Krieg plus Pandemie ist Inflation plus Zerfall des alten politische­n Systems: In der Neuzeit kann man das in Deutschlan­d und Österreich nach 1918 beobachten. Nach dem Weltkrieg kamen Spanische Grippe, Inflation und der Untergang der alten Ordnung. Das Ergebnis war dann der Faschismus.

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