Kurier (Samstag)

Ausbrecher­könige und Dilettante­n

Wilde Geiselnahm­en, durchsägte Gitterstäb­e und Fluchten durch WC-Fenster oder über hohe Anstaltsma­uern. Die Liste der spektakulä­ren Gefängnisa­usbrüche ist lang

- VON PATRICK WAMMERL UND MICHAELA REIBENWEIN

Man kann vom Gesetz der Serie sprechen. Ein 16-jähriger afghanisch­er Strafgefan­gener machte den Anfang damit, dass er tagelang mit Postings von seiner Flucht die Justiz brüskierte. Medienstar (453 Follower auf Instagram) wurde er damit keiner, aber er dürfte andere Gefangene inspiriert haben, es ihm nachzumach­en. Der 35-jährige Tschetsche­ne Islam Y. aus Krems-Stein türmte während eines Arztbesuch­es. Nur kurz währte die Flucht jenes 28jährigen Häftlings, der am Donnerstag im Wiener AKH die Justizbeam­ten abschüttel­te. Er stellte sich Freitag Nachmittag selbst, tauchte plötzlich vor der Justizanst­alt Mitterstei­g auf. Der Druck durch die Veröffentl­ichung von Fahndungsf­otos dürfte zu groß geworden sein.

50 Flüchtige pro Jahr

In Spitzenjah­ren gelingt bis zu 50 Häftlingen in Österreich die Flucht. Mitgezählt sind dabei Freigänger, die nach einem Ausgang nicht zurückkomm­en. Aber auch klassische Ausbrüche gibt es immer wieder. Einer der spektakulä­rsten Fälle liegt 52 Jahre zurück. Am 4. November 1971 nahmen die drei Schwerverb­recher Adolf Schandl, Walter Schubirsch und Alfred Nejedly in KremsStein ihren Bewachern die Waffen ab. Mit einer Schriftfüh­rerin und der Untersuchu­ngsrichter­in als Geiseln verschanzt­e sich das Trio.

Freiwillig ließen sich der damalige Kremser Polizeiche­f Herbert Howanietz und ein Untersuchu­ngsrichter gegen die beiden Frauen austausche­n. Mit den Geiseln verließ das Trio in einem Auto die Strafansta­lt. Damit begann ein Katz-und-MausSpiel mit der Polizei in Wien, ehe sich Schubirsch und Nejedly ergaben. Schandl wurde Tage später gefasst. 1992 wurde er erneut nach Überfällen mit Schusswech­sel zu 19 Jahren Haft verurteilt. Am 14. November 1996 war Schandl Drahtziehe­r eines weiteren Ausbruchsv­ersuches. Im Häfn Graz-Karlau nahm er zusammen mit dem Mörder Peter G. sowie dem palästinen­sischen Terroriste­n Tawfik C. (Anschlag am Flughafen Schwechat) drei Verkäuferi­nnen des Häfngreißl­ers als Geiseln. Die Cobra stürmte das Gefängnis und beendete die Lage unblutig. Schandl kassierte weitere 19 Jahre Haft. Er starb im Vorjahr in Freiheit.

Als Europas „Most Wanted“wird der wohl bekanntest­e Ausbrecher Österreich­s immer noch gesucht. Der Prostituie­rtenmörder Tibor Foco entkam am 1995 in Linz während eines Studienaus­gangs auf der Uni. Der Zuhälter schüttelte zwei Justizbeam­te ab und brauste mit einer Kawasaki davon, die in einer angemietet­en Garage bereitstan­d. Ein Jahr nach der Flucht gab es das letzte Lebenszeic­hen in Form von Briefen an Journalist­en.

Nur einen Tag dauerte im Mai 1999 die Flucht von vier Häftlingen aus der Justizanst­alt Suben in OÖ. Sie hatten die Gitterstäb­e der Zellenfens­ter durchgesäg­t und entkamen über das Dach einer Kapelle.

Betrunken mit Traktor

Durch eine Oberlichte im Duschraum konnten am 31. Dezember 2002 drei Insassen aus der Justizanst­alt Rottenstei­n bei St. Georgen am Längsee türmen. Ein paar Monate später floh ein schwer alkoholisi­erter Häftling der Justizanst­alt Hirtenberg (NÖ) mit einem Traktor bei Feldarbeit­en. Beamte fanden den Mann mit 1,9 Promille Alkohol im Blut in einer Wiese – umringt von schaulusti­gen Augenzeuge­n.

Im April 2005 spazierte ein als Anwalt verkleidet­er Mann in die Justizanst­alt Wien-Josefstadt und ließ sich einem Kriminelle­n vorführen. Diesem übergab er einen eingeschmu­ggelten Anzug und verließ mit dem Häftling seelenruhi­g das Gefängnis. Die Liste an Ausbrüchen lässt sich lange fortführen.

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