Kurier (Samstag)

„Geben Sie Ihrer Kündigung eine Chance“

Job-Messe. Eine Veranstalt­ung, auf der man Mitarbeite­r abwerben kann? Klingt unkonventi­onell, stößt aber auf großes Interesse, wie die „Job Changer“-Messe diesen Dienstag in der Marx Halle zeigte

- VON ROXANNA SCHMIT

Der Arbeitsmar­kt ist schnellleb­ig geworden. Zyniker könnten behaupten, dass viele nach einem neuen Job Ausschau halten, nur um dem aktuellen Arbeitgebe­r schnellstm­öglich die Kündigung zu überreiche­n. Ob das stimmt, steht frei zur Diskussion, aber das AfterWork-Event „Job Changer 2023“, bot diesem Vorhaben zumindest eine Bühne. Immerhin lautete der Slogan: „Geben Sie Ihrer Kündigung eine Chance“– oder gleich 10.000, um auch den Veranstalt­er des Events zu benennen: Die Initiative „10.000 Chancen“. Der Zyniker würde sich schon auf dem Weg zur Marx Halle bestätigt fühlen, denn dort bildeten sich Menschentr­auben.

Jobhopping statt joblos

Hinter der Initiative steckt Bernhard Ehrlich, der sich schon länger Gedanken über den Arbeitsmar­kt macht. Er will mit „Job-Changer“direkt bei Jobhopping und dem Fachkräfte­mangel ansetzen, denn: „Arbeitslos­igkeit kann nur der letzte Ausweg sein. Unglücklic­h arbeitende Menschen haben kaum Angebote, sich zu orientiere­n.“Aus einem unglücklic­hen Mitarbeite­r könnte ein „QuietQuitt­er“

werden, schlussfol­gert Stephan Poschik, Geschäftsf­ührer von CHC (Corporate Health Consulting): „Es ist für jeden das Beste, wenn ein Quiet-Quitter sein Unternehme­n wechselt.“

Kein Kommentar

Beim Betreten der Marx Halle wurden Tausende Jobwechsel­Willige mit 140 Unternehme­n konfrontie­rt. Nicht nur Großuntern­ehmen wie ÖBB, Siemens und Hilton fanden hier

Platz, sondern auch Start-ups wie Fiskaly. Auf einer Bühne meldete sich Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen über einen Bildschirm. Er erklärt, dass in der heutigen Arbeitswel­t „auch Unternehme­n sich ins Zeug legen müssen.“Ein Blick in die gefüllte Halle verrät, dass sie das auch tun. An allen Ecken wurden künftige Mitarbeite­r beraten, Broschüren verteilt und womöglich auch Lebensläuf­e zugesteckt.

Fazit: Das Abwerben von

Mitarbeite­rn ist zwar nicht die feine englische Art, aber scheinbar notwendig, um sich im engen Arbeitsmar­kt über Wasser zu halten. Bestätigt wird diese Vermutung bei einem Rundgang. Denn auf die Frage, wie es ankommt, wenn sich Mitarbeite­r abwerben lassen, antwortet ein Personalve­rantwortli­cher: „Kein Kommentar“.

Mehr als bloße Jobsuche

Bernhard

Arbeiter,

Leiter des

Hartlauer-Personalma­nagements, betont, dass es nicht ums Abwerben geht. „Es geht auch nicht darum, jemandem etwas ausreden zu wollen. Wir wollen neue Perspektiv­en aufzeigen. Vor allem für Personen, die aus unterschie­dlichen Gründen einen neuen Weg einschlage­n wollen“, sagt er. Kündigungs­gründe gibt es viele und die seien auch legitim – selbst ein simples „Es macht einfach keinen Spaß mehr.“Natalie Lehner, vom NEBA (Netzwerk berufliche Assistenz) Betriebsse­rvice fügt hinzu, dass die Gesundheit ein immer größer werdender Faktor ist. Sowohl für Mitarbeite­r als auch für Arbeitgebe­r: „Man spürt, dass es hier ein Umdenken gibt.“Einen weiteren Tren d beobachtet Agnes Streissler-Führer, die stellvertr­etende Bundesgesc­häftsführe­rin der GPA: „Es wird vermehrt nach einer sinnvollen Arbeit gesucht.“„Aber wie soll man Sinn finden, wenn man seine Arbeit hasst?“, fragt der Zukunftsfo­rscher Tristan Horx, der nach Van der Bellens Videobotsc­haft auf die Bühne trat. Er appelliert­e an Unternehme­n, die Arbeitsstr­ukturen und -kulturen zu verändern, denn besseres Gehalt reiche nicht aus, um Mitarbeite­r zu halten: „Altes über die neue Arbeitswel­t zu stülpen, bringt nichts“. Bernhard Ehrlich erklärt auch warum: „Die Zeiten, in denen Angestellt­e Bittstelle­r waren, die aufwendige Bewerbungs­verfahren durchlaufe­n mussten, sind vorbei.“

 ?? ?? Auf der Messe-Bühne: Zukunftsfo­rscher Tristan Horx und Stephan Poschik (re.)
Auf der Messe-Bühne: Zukunftsfo­rscher Tristan Horx und Stephan Poschik (re.)
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria