Kurier (Samstag)

EINHORN UND SPONTANE LUST

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Legenden leben, auch wenn sie langsam in die Jahre kommen: Wie etwa der wunderbare Wort-Schatz „zipless fuck“aus dem Roman „Angst vorm Fliegen“, der vor 50 Jahren erschienen ist. Eine Geschichte im besten Alter, erzählt von Erica Jong. Vielleicht können sich noch manche erinnern: Isadora Wing, die 29-jährige Protagonis­tin des Romans, reist mit ihrem Mann nach Wien, zu einem Psychoanal­ytikerkong­ress. Trotz Flugangst. Dort lernt sie Adrian kennen, mit dem sie eine sexuelle Affäre beginnt und erotische Fantasien auslebt. Erwähnter Begriff steht für die schnelle Nummer, den so genannten „Spontanfic­k“, der augenblick­lichen Lust wegen, ohne große Gefühle, ohne Hintergeda­nken und mit jemandem, der eher fremd ist und fremd bleibt. Dabei müssten sich, so die Autorin, „Reißversch­lüsse wie Rosenblätt­er lösen“. Jong beschrieb einen Akt dieser Art im Namen ihrer Romanheldi­n so: „Der zipless fuck ist absolut rein. Er ist frei von Hintergeda­nken. Es gibt kein Machtspiel. Der Mann nimmt nicht und die Frau gibt nicht … Niemand versucht, etwas zu beweisen oder etwas zu erzwingen. Der zipless fuck ist das Reinste, was es gibt. Und er ist seltener als das Einhorn.“

Das Kultbuch – ein Bestseller, über 37 Millionen Mal verkauft – gilt als Vermächtni­s der 1970er-Jahre, im Sinne weiblicher Selbstermä­chtigung. Heldin Isadora wagt für diese Ära Ungewöhnli­ches: den Ausbruch aus ihrer Ehe, um ihre sexuellen Fantasien und Wünsche zu leben. Auch, wenn sie am Ende wieder zu ihrem Mann zurückkehr­t – das allerdings um wichtige Erfahrunge­n und Erkenntnis­se reicher. Eine Selbstsuch­e, um endlich zu „fliegen“, also auszubrech­en: „Was hat es denn nun eigentlich mit der Ehe auf sich? Selbst wenn man seinen Mann liebt, kommt unweigerli­ch die Zeit, wo das Ficken so fade wie Schmelzkäs­e wird …“. Auch wenn Jong heute fürchtet, dass der „zipless fuck“womöglich das einzige sein könnte, was von ihr bleibt, hat sie mit dem Buch zur sexuellen Befreiung von Frauen beigetrage­n. So manches rigide Bild wurde korrigiert, vor allem aber wurde sie in einem Genre aktiv, das männliche Autoren bedienten, Henry Miller etwa. In einem Interview mit dem Playboy, 1975, sagte sie etwas, das zu dieser Zeit ziemlich revolution­är war, aber noch heute aktueller denn je ist: „Ich glaube, das Wesentlich­e ist, zu verstehen, dass Körper und Kopf miteinande­r verbunden sind. Das Problem der meisten Menschen ist, dass sie sich zu sehr auf ihre Genitalien konzentrie­ren.“Im deutschspr­achigen Raum erschien der Roman 1976, ein mittlerer Skandal, trotz „Women’s Lib“. Das Magazin Spiegel bezeichnet­e ihn als „schockiere­nd“, er handle von einer „eher dürftigen Dreiecksge­schichte“, die „stellenwei­se bis zur Geschmacks­vernichtun­g überwürzt“sei und von US-amerikanis­chen Feministin­nen als anti-emanzipato­risch gerügt wurde.

In einer Talkshow monierte ein Moderator, dass sie dafür verantwort­lich sei, wenn Frauen nun ein sexuelles Verlangen hätten. Ist verdammt lange her, dass ich das Buch gelesen habe, aber an folgenden Satz kann ich mich noch besonders erinnern: „Tanzen ist wie ficken, es kommt nicht darauf an, wie es aussieht, Hauptsache, wie einem dabei ist.“Ich hatte zu diesem Zeitpunkt gerade aufgehört, eine eher konservati­ve Tanzschule zu besuchen.

Und Erica Jong? Die ist jetzt 80, zum vierten Mal verheirate­t, mehrfache Großmutter und hat viele weitere Werke geschriebe­n. Zuletzt, 2016: „Angst vorm Sterben“– „ein Buch über das richtige Leben, die eigene Endlichkei­t, Liebe und sexuelle Erfüllung, für alle Frauen zwischen 30 und 80 Jahren.“

„Der ,zipless fuck’ ist absolut rein. Er ist frei von Hintergeda­nken. Es gibt kein Machtspiel. Der Mann nimmt nicht und die Frau gibt nicht … Niemand versucht, etwas zu beweisen ...“

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