Kurier (Samstag)

Der größte vergessene Krieg unserer Zeit

Zigtausend­e Tote und ein Viertel der Bevölkerun­g auf der Flucht: Von der Weltöffent­lichkeit nicht beachtet toben im Sudan seit April unfassbar grausame Kämpfe zwischen Armee und Milizen

- VON WALTER FRIEDL

Mord, Vergewalti­gung, Vertreibun­g – das, was sich derzeit im Sudan fernab der Weltöffent­lichkeit zuträgt, ist in Worte kaum zu fassen und eine der größten humanitäre­n wie auch politische­n Katastroph­en des 21. Jahrhunder­ts. „Ja, es gibt den Krieg in der Ukraine, die Krise in Gaza...., aber hier wird eine ganze Zivilisati­on in Stücke gerissen. 24 Millionen Menschen (das sind 50 Prozent der Einwohner) brauchen Hilfe. Es ist der größte vergessene Krieg unserer Zeit“, schlägt Jan Egeland im ARD-Interview Alarm. Der 66-Jährige ist Direktor des „Norwegian Refugee Council“und war früher für die UNO tätig.

Ihren Ausgang nahm die Tragödie im April dieses Jahres, als die einst verbündete­n Putschiste­ngeneräle Abdel Fattah Burhan, Militärche­f und De-facto-Machthaber des Sudan, und sein damaliger Stellvertr­eter, Milizführe­r Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, einen erbitterte­n Kampf um die Vorherrsch­aft im ressourcen­reichen Land entfachten.

10 Millionen Vertrieben­e

Die bisherige Bilanz ist grauenhaft: Neben Tausenden Toten wurden allein in diesen sieben Monaten 6,3 Millionen Menschen vertrieben. Zusammen mit 3,7 Millionen Sudanesen, die bereits in vorangegan­genen Konflikten ihr Zuhause verlassen mussten, gibt es in dem drittgrößt­en afrikanisc­hen Staat schon zehn Millionen intern Vertrieben­e (IDPs) – das ist trauriger Weltrekord.

Dazu kommen 1,1 Millionen Ausländer, die im Sudan Zuflucht gesucht haben. Umgekehrt sind 1,4 Millionen Sudanesen in Nachbarlän­der geflüchtet. Die Versorgung mit Wasser und Strom ist in vielen Landesteil­en mittlerwei­le komplett zusammenge­brochen. Damit wächst die Gefahr eines großflächi­gen Seuchenaus­bruchs.

Und die Situation auf den Schlachtfe­ldern deutet darauf hin, dass sich die Lage weiter verschlech­tern dürfte. Die „Rapid Support Forces“(RSF) von Hemeti erzielten zuletzt große Geländegew­inne. Sie kontrollie­ren weite Teile des Landes und auch Gebiete bei und in der Hauptstadt Khartum.

Und auch die Region Darfur ist mittlerwei­le großteils RSF-Territoriu­m. Dort war es bereits ab 2003 zu einem Völkermord an nicht-arabischst­ämmigen, schwarzen Volksgrupp­en gekommen – durch die sogenannte JanjaweedR­eitermiliz. Aus dieser ging die RSF letztlich hervor, und die Geschichte wiederholt sich nun.

Bewaffnete Trupps plündern, schleifen und brandschat­zen ganze Dörfer, Frauen werden vergewalti­gt, Männer in Reihen aufgestell­t, erschossen und in Massengräb­ern verscharrt. Menschen, die diesem apokalypti­schen Treiben entkamen, sprechen von der „Hölle auf Erden“.

Als letzten strategisc­h wichtigen Punkt in der Region hält die Staatsarme­e SAF („Sudanese Armed Forces“) el-Fasher. Sollten die RSF und mit ihr verbündete Milizen auch die Hauptstadt von Norddarfur überrennen, ist Hemeti seinem Ziel nahe, ganz Darfur (etwa eineinhalb Mal so groß wie Deutschlan­d) zu kontrollie­ren – und damit auch die wichtigen Sprit- und Waffen-Versorgung­srouten aus Libyen.

Die Goldminen

Manche Analysten sehen bereits das Szenario eines zweigeteil­ten Landes mit dem Nil als Grenze. Wobei sie auch hinzufügen, dass sich die RSF

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wohl nicht damit . ,REP.

keinen Meereszuga­ng zu haben, was weitere Kämpfe wahrschein­lich mache. Jetzt schon kontrollie­ren die Milizen die Goldminen im Westen des Landes und die SAF die agrarische­n Flächen im Osten sowie den wichtigen Ölhafen Port Sudan, den auch Hemeti im Visier hat.

Es sind diese natürliche­n Ressourcen, die internatio­nale Akteure in dem Konflikt mitmischen lassen: Ägypten, Eritrea und vor allem SaudiArabi­en auf SAF-Seite; die Vereinigte­n Arabischen Emirate und die russische Wagnergrup­pe auf RSF-Seite. Die Söldner im Dienst von Kremlchef Wladimir Putin haben es au f di e Goldminen abgesehen und wollen mit Port Sudan einen Stützpunkt am Roten Meer.

Politische Beobachter befürchten in Folge dieser explosiven Gemengelag­e ein weiteres Abgleiten in eine vollkommen­e Anarchie, in der sich Warlords, Milizen, Ethnien, Islamisten (aus der Sahelzone) und Söldner in endlose Kämpfe verstricke­n. Jetzt schon formuliert­e Nathaniel Raymond, Konfliktex­perte an der Yale University, gegenüber dem Economist: „Der Sudan ist gestorben. Und niemand hat den Nachruf geschriebe­n.“

„Der Sudan ist gestorben. Und niemand hat den Nachruf geschriebe­n“Nathaniel Raymond Konfliktfo­rscher, Yale

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Humanitäre Katastroph­e im Sudan – Millionen Flüchtling­e. Frauen stellen sich für die Verteilung von Essen an
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