Kurier (Samstag)

Weltpoliti­k, ein „Sarg“und ein Mord

Vor hundert Jahren wurde das heutige Bundeskanz­leramt zum Sitz des Regierungs­chefs der damals jungen Republik. Vorher war es das „Außenminis­terium“der Habsburger

- TEXT WOLFGANG UNTERHUBER |NFOGRAF|K CHRISTA BREINEDER

Das Bundeskanz­leramt im Herzen von Wien zählt zu jenen Gebäuden, die, wie man so sagt, Geschichte atmen. Hier residierte­n seit dem 18. Jahrhunder­t Fürsten und Grafen und leiteten die Außenpolit­ik der Monarchie.

Nach deren Zusammenbr­uch 1918 befand sich der Amtssitz des Bundeskanz­lers zunächst im Palais Modena in der Herrengass­e (heute Innenminis­terium), wie Klaus Mayr berichtet. Mayr ist im Kanzleramt der Experte für die Historie des Hauses. „Erst 1923 übersiedel­te der Kanzler ins heutige Kanzleramt“, so Mayr. Regierungs­chef war da der Christdemo­krat Prälat Ignaz Seipel. Am kommenden Mittwoch übrigens wird die hundertjäh­rige Kanzlersch­aft im GebäudeamB­allhauspla­tzimRahmen­eines Festaktes zelebriert werden.

Mit dem Bau des Hauses wurde 1717 unter Kaiser Karl VI. begonnen. Es wurde bis ins 19. Jahrhunder­t immer wieder erweitert, erzählt Mayr. Der im Jahr 2000 berühmt gewordene Tunnel zur Hofburg stammt aber aus den späten 1960ern. Mayr: „Da wurde aus Sicherheit­sgründen nach dem Einmarsch der Sowjets in der Tschechosl­owakei 1968 ein ganzes Tunnelsyst­em angelegt.“

Bis Mitte des 19. Jahrhunder­ts grenzte das Gebäude an die Stadtmauer. Die verlief entlang der Löwelstraß­e. Zwischen der

Mauer mit der Löwelbaste­i und der Staatskanz­lei gab es eine kleine Brücke. Mayr: „Besonders Metternich flanierte gerne so wie die Wienerinne­n und Wiener auf der Bastei.“Metternich stand im Ruf, ein „Schürzenjä­ger“zu sein.

Wiener Kongress

In den Jahren 1814/15 leitete Metternich in der Staatskanz­lei den Wiener Kongress. Damals wurde erstmals die Sklaverei geächtet. Und das verhandelt­e Kräfteglei­chgewicht zwischen den damaligen Großmächte­n Russland, Großbritan­nien, Frankreich, Österreich und Preußen hielt in großen Umrissen exakt 100 Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Es gibt eine Illustrati­on des Kongresses, die das Arbeitszim­mer von Metternich skizziert. Es war dann Wolfgang Schüssel von der ÖVP, der als erster Kanzler der II. Republik dieses Zimmer bezog. Die Aufregung bei der SPÖ war groß. Metternich hatte nach 1815 mehr oder weniger den Polizeista­at erfunden.

„Nach Schüssel hatten aber dann alle SPÖ-Kanzler bis einschließ­lich Christian Kern hier ihr Büro“, erzählt Mayr. Vermutlich, weil es hell ist und Richtung Volksgarte­n zeigt. Das traditione­lle Büro des Kanzlers zeigt nämlich Richtung Osten. In diesem „alten Kanzlerzim­mer“hatten alle Regierungs­chefs bis zum Jahr 2000 ihr Büro. (großes Bild)

Erbaut wurde das Gebäude von Johann Lukas von Hildebrand­t (1668–1745). Der aus Genua stammende Architekt hatte bereits das Schloss Belvedere in Wien, die Sommerresi­denz von Prinz Eugen von Savoyen, errichtet. Später wurde die Staatskanz­lei immer wieder erweitert.

Ebenso Sebastian Kurz und jetzt auch Karl Nehammer „Es ist wegen seiner Holzvertäf­elungen im sogenannte­n Handelskam­mer-Barock berüchtigt und hatte unterschie­dliche Bezeichnun­gen“, erzählt Mayr. „Für Kanzler Vranitzky war es ,Der Sarg’.“Wohl gefühlt soll sich da nur Kanzler Julius Raab haben. Der regierte in den 1950ern und kam ja von der Handelskam­mer.

Ein Raum im Kanzleramt weist eine sehr düstere Geschichte auf. Bei einem Putschvers­uch der illegalen Nazis wurde am 25. Juli 1934 der damalige Kanzler Engelbert Dollfuß ermordet. Dollfuß ist heute umstritten, war er doch der Begründer des austrofasc­histischen Ständestaa­tes.

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