Matthias Horx,
68, ist deutscher Publizist und Trendforscher. Erst arbeitete er als Journalist, 1993 eröffnete er das „Trendbüro“in Hamburg. Nach seinem Ausstieg aus dem Unternehmen gründete er 1998 das Zukunftsinstitut mit Sitz in Frankfurt, das eine Zweigstelle in Wie
Wie hätten Sie darauf reagiert, Matthias?
MATTHIAS H.: Das gab es ja auch bei unserer Generation, aber auf Haare bezogen. Ich gehörte damals zu den Langhaarigen. Dieses Zeichensetzen, dass man anders ist, ist ein Wechselspiel in allen Generationen.
Ist es einfacher, auf die jeweils andere Generation zu blicken als auf die eigene?
TRISTAN H.: Ich finde, man kann die eigene Generation viel leichter kritisieren. Die Älteren sagen, die Jungen seien nicht mehr leistungsfähig, sie seien faul. Das sind Klischees, die nicht stimmen.
Und welches Klischee trifft auf die ältere Generation zu?
„Nach TikTok: Was soll denn da noch kommen? Ein Leben im Millisekunden-Takt? Jeder Trend hat einen Gegentrend, auch das Digitale.“Matthias Horx
TRISTAN H.: Spießig zu sein oder zu werden. Man erkennt das beim Thema Arbeit, wenn die Älteren sagen, sie seien die Oberleistungsfähigen gewesen und dass die Jungen mit ihren neuen Arbeitsformen ja eigentlich nur chillen wollen. Der Begriff „Work-Life-Balance“wird oft gegen die junge Generation verwendet, dabei hat gerade die ihn erfunden. MATTHIAS H.: Alle Generationen haben entspanntere Tendenzen und dann ändern sich diese wieder. Was man aber deutlich sehen kann: Als Teil der 68er-Generation weiß ich
– auch wir haben gegen
Spießer und Karrieristen gekämpft. Was jetzt aber zunehmend auseinander bricht, ist die Idee der Karriere, weil wir in der gesellschaftlichen Situation sind, dass diese für viele keinen Sinn mehr hat. Bis zur Ban| kenkrise war es toll, viel Geld zu verdienen. Aber die Jungen spüren, es lohnt sich nicht mehr, sie können meistens nichts Eigenes mehr aufbauen. Also treten wir derzeit in einen großen Wertewandel ein. Das Aussteigen aus diesen Karrieren, nur noch das machen, was sein muss, ist eine Revolte gegen diese Verunsicherung. Wir sind am Anfang einer langen, turbulenten Krisenphase, in der sich die Gesellschaft neu organisieren wird. Das Neue kündigt sich aber bereits an.
Und was sind dann die Werte von morgen?
MATTHIAS H.: Postmaterielle Werte, die dem Leben eine andere Bedeutung im Bezug zur Arbeit zuweisen. Der bisherige industriell fossile Lebensstil, geprägt von immer dickeren Autos macht viele inzwischen unglücklich. Wir sehen es ja bereits: Die Leute, die alleinig diesem Lebensstil nachfolgen, haben meistens große Probleme im Leben.
In allen Generationen?
MATTHIAS H.: Ja, sogar der neue, alternative Karrierismus mit den Start-ups, die schnell reich werden wollen, dabei Spaß haben und Geld verbrennen, auch das ist ja irgendwie vorbei. Wir kommen jetzt an Grenzen des exzessiven Konsums, der ständigen Beschleunigung. Viele Menschen sehnen sich
nach früher, wir sehen einen riesigen Nostalgie-Trend.
Meinen auch Sie, dass früher wirklich alles besser war?
MATTHIAS H.: Man hat es eben als Jugend erlebt, und in der Jugend ist ja alles immer spannend. Aber in den vergangenen 30 Jahren ging ja alles nur nach oben, alles wurde immer vielfältiger und optimierter. Der Hedonismus, also die Genusssucht, stieg massiv an. Corona hat das in gewisser Weise gestoppt, das hat alles aus den Gleisen geworfen. Das ist ein Epochenwandel, der aus der Zukunftsforschung heraus betrachtet nur rund alle 50 Jahre stattfindet. Aber alleine ich habe nun schon zwei solche Epochen erlebt: einmal die Revolte in den 70ern und nun diesen verbreiteten Zweifel am Fortschritt.
Wie spürt man das in der jungen Generation?
TRISTAN H.: Das Ende des Millennium-Aufschwungs hat meine Generation noch mitgekriegt und deswegen gab es da auch sehr viele postmaterielle Tendenzen. Es klingt zwar ein bisschen pathetisch, aber so ein Leitsatz vieler Junger war da schon: „Sammle Momente, nicht Dinge.“Reisen zum Beispiel wurde ein sehr großes Thema: die Welt erkunden als neues Statussymbol.
In Ihrer aber doch auch, Matthias?
MATTHIAS H.: Ja. Wir sind dann mit der alten klapprigen Ente oder dem Volkswagen-Käfer nach Spanien gefahren, aber da haben wir selber geschraubt.
TRISTAN H.: Die Boomer-Generation ist ja unglaublich erfolgreich gewesen, und die meisten haben sich ein schön dickes Finanzpolster geschaffen. Das heißt, ihre Kinder, also meine Generation, wussten meistens, dass sie nicht auf der Straße landen werden, auch wenn mal was schiefgeht. Jetzt ist es spannend zu sehen, wie das bei der nächsten Generation, also der Generation Z, aussieht. Die sind jetzt im Schnitt 28 Jahre alt, da erkenne ich eine Tendenz in Richtung Retro, alte Gedankenmuster, auch Frauenbilder, Männerbilder, Status. Im Vergleich zu meiner Generation habe ich das Gefühl, die Verunsicherung der Zeit führt zu einer Sehnsucht nach Sicherheit, die man durch Besitz und Altbekanntes, das früher schon mal funktioniert hat, erreichen kann.
Das hat allerdings seine Tücken, denn durch die Coronazeit sehen viele Experten Frauen in alte Rollenbilder zurückgedrängt, was der Emanzipation der Frau entgegensteht. Stichwort: eigene Arbeit, finanzielle Unabhängigkeit.
TRISTAN H.: Es ist total schräg, aber manchen Erhebungen zufolge wünschen sich zum Beispiel in Deutschland 70 Prozent wieder einen Lockdown.
Woher kommt das?
TRISTAN H.: Da geht es um Entschleunigung. Meine Generation ist in rasanten Zeiten aufgewachsen, mit mittlerweile vier „Once in a lifetime“-Events, also mit Geschehnissen, die eigentlich nur einmal im Leben geschehen: Bankencrash, 9/11, Pandemie, Krieg in Europa. Da war eine Bremse natürlich auch schön, das ist menschlich.
ten wir uns aus. Das ist heute aber nicht mehr so, heute ist durch das Internet alles in kleine Kulturen gepresst. Paradoxerweise führt das Internet die Menschen ja nicht zusammen, sondern spaltet sie in immer kleinere Einheiten. Ich war damals einer der so genannten „first user“, ich hatte schon in den 80er-Jahren meinen ersten Computer. Aber selbst Tristan, der in dieser Welt der schnellen Digitalisierung aufgewachsen ist, wird das langsam zu viel. Das permanente Online-Sein macht einen ja wahnsinnig. Auch die jüngere Generation fängt an zu zweifeln an diesem gewaltigen Megatrend des „always online“.
Ist das so, Tristan?
TRISTAN H.: Schon. Allerdings ist die Digitalisierung eine Sucht. Dafür sind die Geräte gebaut. Selbst der politische Diskurs findet auf Social Media statt, wenn sich inzwischen schon 12-Jährige grausame Videos aus Kriegsgebieten reinziehen. Heutzutage sind schon die ganz Jungen mit dem Weltschmerz konfrontiert.
Wo führt das hin?
TRISTAN H.: Sie werden gegen das pessimistische Weltbild ankämpfen müssen. Und gerade diese ganz junge Generation, manche nennen sie „Alpha“, der alle angehören, die ab 2010 geboren wurden, heute also 13 oder älter sind, wird wohl in eine Welt hineinwachsen, in der Medienkonsum reguliert werden wird. Wir sind derzeit nämlich noch in der pubertären Phase des Internets, das wir noch als Wilden Westen behandeln. Ist das Internet mit seiner wie vorhin von Ihnen angesprochenen Bildung von kleinen Gruppen ausschlaggebend dafür, dass die politische Mitte in einer Krise steckt? In einigen Ländern Europas sieht man die Tendenz zu den Rändern.