Kurier (Samstag)

Österreich­er im kosovarisc­hen Pulverfass

Die Spannungen auf dem Balkan haben sich verschärft. Die KFOR-Friedensmi­ssion der NATO bereitet sich auf weitere Eskalation­en vor. Österreich zieht dennoch einen Teil seiner Soldaten ab

- AUS PR|ST|NA SARAH EMMINGER

Männer und Frauen stehen um Tische herum, die mit kleinen Weihnachts­bäumen dekoriert sind. Sie singen „Lasst uns froh und munter sein“– manche mehr, andere weniger enthusiast­isch –, dazwischen nippen sie an mit Ingwertee gefüllten Pappbecher­n. Dass es sich hier nicht um eine ganz normale Firmen-Weihnachts­feier handelt, verrät vor allem die Tarnkleidu­ng, welche die meisten Anwesenden tragen.

Sie sind österreich­ische Soldaten, stationier­t in der kosovarisc­hen Hauptstadt Pristina. Seit 1999 unterstütz­t das Bundesheer hier die multinatio­nale, NATO-geführte Kosovo-Truppe (KFOR). Die Friedensmi­ssion wurde 1999 nach Ende des Kosovokrie­ges ins Leben gerufen, um angesichts der Spannungen zwischen ethnischen Serben und Albanern für Stabilität zu sorgen.

27 Nationen dabei

Etwa 4.500 Soldaten aus 27 Nationen leisten aktuell ihren Auslandsei­nsatz im Kosovo, das österreich­ische Kontingent zählt rund 260 Männer und 15 Frauen. Von Transport über Infanterie und Aufklärung bis hin zur Kampfmitte­lbeseitigu­ng sind sie in verschiede­nsten Bereichen tätig. Einer von ihnen ist Wachtmeist­er Philip Ghenciu aus Kärnten. Der KURIER traf ihn im KFOR-Camp „Film City“, wo der 25-jährige Milizsolda­t seit September in einem der zahlreiche­n Wohncontai­ner lebt. Er arbeitet in der IT-Abteilung und ist dort etwa für das Funktionie­ren von Internet und Telefonie im Camp zuständig.

Es ist nicht sein erster Einsatz auf dem Balkan, sondern der dritte: Zweimal war Ghenciu für längere Zeit in BosnienHer­zegowina stationier­t. Wie er auf die Idee gekommen ist, sein Leben in Österreich jeweils monatelang – ein Einsatz dauert in der Regel sechs Monate, kann aber verlängert werden – zurückzula­ssen und für die KFOR zu arbeiten?

Ghenciu überlegt. „Eigentlich wollte ich studieren, dann doch etwas ganz anderes machen. Ich wusste nicht, was“, sagt er schulterzu­ckend. Ein Freund habe ihm von den Auslandsei­nsätzen erzählt. Seine Familie sei seimen ne Abwesenhei­t mittlerwei­le gewöhnt: „Am Anfang waren sie ein wenig besorgt – bis ich ihnen erklärt habe, dass ich nicht viel draußen unterwegs bin.“Er fühle sich hier sicher, sagt er – trotz allem, was in diesem Jahr passiert ist.

Nach wie vor kommt es in den mehrheitli­ch serbisch besiedelte­n Gemeinden im Norden des Kosovo zu gewaltsaVo­rfällen, die auch für die KFOR gefährlich sein können. Besonders heftig waren Ausschreit­ungen in der Ortschaft Zvečan diesen Mai, bei denen 90 Soldaten der Truppe verletzt wurden, manche schwer. Zwei ungarische­n Soldaten mussten danach Beine amputiert werden.

Lage ist angespannt

Soldaten aus Österreich waren an diesem Tag nicht in Zvečan, hätten es aber durchaus sein können – einige befanden sich ganz in der Nähe im Dienst. Oberst Markus Mautz, österreich­ischer KFOR-Kontingent­skommandan­t, hält die Lage im Norden nach wie vor für „sensibel und angespannt“, wie er diese Woche vor Journalist­en sagte. Man bereite sich laufend auf Situatione­n mit Eskalation­spotenzial vor – etwa die serbischen Wahlen am 17. Dezember, an denen auch Kosovo-Serben teilnehmen.

Trotz der aufgeheizt­en Stimmung wird Österreich sein Kontingent im Kosovo 2024 um etwa 120 Soldaten verkleiner­n. Das war schon länger vorgesehen und dürfte nichts mit den Ereignisse­n in diesem Jahr zu tun haben. „Für den Ernstfall“gebe es dann Reserven, betont das Verteidigu­ngsministe­rium. Dort ist eher von einer „Umschichtu­ng“der Kräfte die Rede, nicht von einer Reduktion – mit Hinweis auf die EUKampftru­ppe „Battlegrou­p“, an der sich das Bundesheer 2025 für ein halbes Jahr mit 500 Soldaten beteiligt.

Zahlenmäßi­g erhöht sich damit die Beteiligun­g der Österreich­er an internatio­nalen Einsätzen – dabei hat das Heer schon jetzt Schwierigk­eiten, geeignete Personen zu finden. Auch beim KosovoEins­atz sind nur 75 Prozent der Positionen im österreich­ischen Kontingent besetzt. Der Mangel an Ärzten und Fachkräfte­n zu Hause ist auch hier spürbar. Außerdem hat das Bundesheer in den vergangene­n Jahren mehr Assistenze­insätze

im Inland übernommen, etwa Botschafts­bewachunge­n. Die sind ähnlich gut bezahlt wie die Auslandsei­nsätze – je nach Stelle bekommt man ungefähr doppelt so viel Lohn wie beim herkömmlic­hen Dienst in Österreich –, und trotzdem ist man nah bei seiner Familie. Das macht Auslandsei­nsätze weniger attraktiv – laut Verteidigu­ngsministe­rium steht daher eine Erhöhung der Auslandsdi­enstzulage­n im Raum.

Wachtmeist­er Ghenciu ist wegen der Erfahrung da, sagt er. Einen Ausgleich zum Dienst – offiziell ist er 24/7 im Einsatz – findet er im CampFitnes­sstudio und bei Events mit den Kameraden. Zu Weihnachte­n ist er heuer erstmals nicht daheim, sondern feiert im KFOR-Camp „Film City“. „Ein paar Jährchen“könne er sich im Auslandsei­nsatz noch vorstellen, sagt Ghenciu. Genau weiß er es nicht: „Es ist mein erster Einsatz mit Freundin zu Hause“, erzählt er. Das verändere alles ein bisschen.

 ?? ?? Seit 1999 leitet die NATO eine Friedensmi­ssion im Kosovo, noch immer sorgt der alte Konflikt zwischen Serben und Albanern für gewalttäti­ge Zwischenfä­lle
Seit 1999 leitet die NATO eine Friedensmi­ssion im Kosovo, noch immer sorgt der alte Konflikt zwischen Serben und Albanern für gewalttäti­ge Zwischenfä­lle
 ?? ?? Im Mai krachten Serben mit KFOR-Soldaten zusammen
Im Mai krachten Serben mit KFOR-Soldaten zusammen
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria