Als Ölgeld die Demokratie unterspülte
Skandal im EU-Parlament. Vor einem Jahr flog ein Netzwerk rund um Vizepräsidentin Eva Kaili auf, das Millionen aus Katar und Marokko in die Taschen von Abgeordneten spülte – bis heute ist der Fall ungeklärt
Ihren prominenten Platz ganz vorne im Sitzungssaal hat sie eingebüßt. Einst Vizepräsidentin des EU-Parlaments ist die Griechin Eva Kaili heute in die letzte Reihe verbannt und aus ihrer einstigen Fraktion, den Sozialdemokraten, hinausgeworfen worden. Dennoch nimmt sie – ganz strikt nach den Regeln des Hauses – an den Sitzungen und auch an Abstimmungen teil. Zuletzt erst, als es um strengere Regeln im Kampf gegen Korruption ging.
„Unschuldig“
Auslöser für diese Verschärfungen war niemand anderer als Kaili selbst. Sie ist das prominente Gesicht jener Affäre, die als „Katargate“das wohl schwärzeste Kapitel des Europaparlaments geschrieben hat. Eine Affäre, in die sie nach eigener Ansicht unschuldig und ohne jedes Mitwissen hineingeraten ist. Kaili weist bis heute jede Schuld von sich, sieht sich als politisches Opfer. Nur weil sich mit Spionage-Software beschäftigt habe, sei sie ein paar – natürlich nicht näher genannten – Geheimdienstlern zu nahe gekommen, und die hätten sich deshalb gerächt.
Doch um diese Affäre wirklich zu inszenieren hätte es wohl eher einen Hollywood-Regisseur als ein paar knochentrockene Geheimdienstler gebraucht. Das Drehbuch zu Katargate, das mit dem Großeinsatz der Polizei am 9. Dezember einsetzt, wirkt beinahe überfüllt mit Versatzstücken aus einem Gangsterfilm.
Da tauchten quasi im Stundentakt Unmengen an Bargeld in Büros und Wohnungen
auf: Es gab Koffer und Plastiksäcke voller Geldscheine, die von den Verdächtigen offensichtlich in aller Eile gefüllt worden waren, um damit fliehen zu können.
Geld in den Mistkübel
Der mutmaßliche Drahtzieher des gesamten Korruptions-Kartells, der Italiener Antonio Panzeri, hatte so viel Bargeld in seiner Wohnung gebunkert, dass er sich nicht anders zu helfen wusste, als die Scheine bündelweise in den Mistkübel zu stopfen.
Panzeri, selbst über Jahre Abgeordneter im EU-Parlament, hatte die Politik hinter sich gelassen, um sich einem lukrativeren Geschäft zu widmen: Er knüpfte für das GolfEmirat Katar und das Königreich Marokko Verbindungen zu Abgeordneten. Diese Verbindungen ließ er sich fürstlich bezahlen – und zwar in bar. Darauf hätten seine Geldgeber dummerweise bestan
den, gab Panzeri gegenüber den Ermittlern zu Protokoll.
Diese Offenherzigkeit hat einen Grund: Der Italiener hat sich schuldig bekannt und einen Kronzeugen-Deal für sich ausgehandelt. Er packt über seine Mittäter aus und bekommt dafür den Großteil seiner Haftstrafe nur bedingt.
Ob sich der Deal für die Ermittler auszahlt, wird sich erst im Frühjahr des kommenden Jahres zeigen. Dann beginnt offiziell der Prozess.
Vorerst aber bleiben zahlreiche Fragen ungeklärt. Warum etwa ist Kaili von allen fünf in den Skandal verwickelten Personen diejenige, die am längsten eingesperrt wurde? Schließlich war es ja Panzeri, der eingestanden hat, dass die SchmiergeldMillionen über ihn liefen. Die Verbindung zu Eva Kaili knüpfte Panzeris Assistent und krimineller Handlanger Francesco Giorgi. Er war Kailis Lebensgefährte und hat zugegeben, sie in das Ganze hineingezogen zu haben. Und da ist dann noch eine weitere EU-Abgeordnete, durch deren Hände ebenfalls Millionen flossen, die aber bis heute unangetastet blieb.
Fehlt es nur in diesem Fall an Beweisen, oder tun sich bei Prozessbeginn Lücken auf, die die Aufklärung im größten Kriminalfall in der Geschichte des EU-Parlaments im Sand verlaufen lassen? Der deutsche Abgeordnete Daniel Freund, der sich um die Aufarbeitung des Falls im Parlament kümmert, sorgt sich vor allem um die mangelnden politischen Konsequenzen: „Vom angekündigten Aufräumen ist nur wenig geblieben. Es gibt keine Maßnahmen, die ein zweites Katargate verhindern können.“