Kurier (Samstag)

„Ihr könnt mich nicht zum Schweigen bringen“

Narges Mohammadi sitzt bei der Verleihung im Iran in Haft

- VON LAILA DOCEKAL 10. Dezember

Seit mehr als acht Jahren hat die Iranerin Narges Mohammadi ihre Zwillingsk­inder Kiana und Ali nicht gesehen. Am Sonntag werden die beiden 17-Jährigen den Friedensno­belpreis in Oslo für ihre Mutter entgegenne­hmen. Sie sind vor elf Jahren mit ihrem Vater nach Frankreich geflohen. Mohammadi blieb und sitzt inzwischen ihre 15. Haft ab.

Zu insgesamt 31 Jahren Gefängnis und 145 Hieben ist die 51-jährige Menschenre­chtsaktivi­stin schon verurteilt worden. „Trotz erhöhtem Druck, Schikanier­ung und Entbehrung­en könnt ihr mich nicht zum Schweigen bringen“, richtet sie dem Regime über ihre Social-MediaKanäl­e aus. Sie selbst hat vom berüchtigt­en Evin Gefängnis in Teheran freilich keinen Zugang. Doch sie findet über Mittelsleu­te immer wieder Wege, ihre Botschafte­n an die Außenwelt zu bringen. Auf diesem Weg soll sie zuletzt sogar mit Schauspiel­erin Angelina Jolie kommunizie­rt haben.

Kontaktver­bot

Nun wurden ihr sämtliche Telefonate und Besuche behördlich verboten – schon zuvor durfte sie nur noch mit ihrer Schwester und ihrem Bruder im Iran telefonier­en. „Die Erhöhung der Strafen wird meine Entschloss­enheit und meinen Willen nicht schwächen, für Demokratie, Freiheit, Gleichheit und den Widerstand gegen die religiöse Tyrannei zu kämpfen“, war ihre Antwort auf Instagram.

Vom Friedensno­belpreis für eine Inhaftiert­e ist das iranische Regime freilich wenig begeistert und ortet einen „politische­n Schachzug im Einklang mit der interventi­onistische­n und anti-iranischen Politik einiger europäisch­er Regierunge­n“. Mohammadi sei wegen wiederholt­er Gesetzesve­rstöße

und kriminelle­r Handlungen verurteilt worden.

Ihr Vergehen? Das Aufzeigen von Menschenre­chtsverlet­zungen. Aus der Haft heraus hat Mohammadi Folter, Vergewalti­gung und Missbrauch im Gefängnis öffentlich gemacht. „White Torture“heißen das Buch und die Dokumentat­ion über das Schicksal inhaftiert­er Aktivisten im Iran. Weiße Folter bezeichnet die psychologi­schen Foltermeth­oden, die in iranischen Gefängniss­en eingesetzt werden: Bei durchgehen­d grellem Licht in einer 2x3 Meter großen Zelle eingesperr­t, in der alles komplett weiß ist. Tage, Wochen, Monate Isolations­haft ohne Gefühl für Zeit und Raum, für Tag und Nacht.

„So lange ich lebe, werde ich dafür sorgen, dass die Welt die Stimme des Protests hört und die legitime Forderung der iranischen Bevölkerun­g – auch wenn das bedeutet, dass ich alle meine Freiheiten verliere“, zeigt sie sich fest entschloss­en.

Hinrichtun­gswelle

Unterdesse­n dürfte das iranische Regime im Schatten der Gaza-Krise Dutzende Inhaftiert­e hinrichten – darunter auch Minderjähr­ige. Zuletzt war der Aufschrei groß, als der Rapper Toomaj Salehi, der sich in seinen Texten öffentlich gegen das Regime

Die Auszeichnu­ng wird seit 1901 jedes Jahr am Todestag Alfred Nobels, dem 10. Dezember, in der norwegisch­en Hauptstadt Oslo verliehen. Sie ist seit einigen Jahren mit zehn Millionen Schwedisch­en Kronen (zirka 884.000 Euro) dotiert

ausgesproc­hen hatte, zuerst enthaftet, aber wenige Tage später wieder verhaftet wurde. In Freiheit hatte er in einem Video von seiner Folter berichtet und wollte seine schlecht verheilten Brüche operieren lassen.

Daher spricht Narges Mohammadi nicht nur für sich selbst, wenn sie sagt: „Die Gefängnism­auern der Tyrannei sind schwächer als meine Entschloss­enheit, die Welt den Protest der iranischen Bevölkerun­g hören zu lassen und den Wunsch unseres Volkes, die religiöse Tyrannei zu beenden ... Wir kämpfen auf beiden Seiten der Gefängnism­auern und das gibt uns Hoffnung.“

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Mohammadi weigert sich inzwischen, ein Kopftuch aufzusetze­n – daher wird ihr die medizinisc­he Behandlung verwehrt
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