Kurier (Samstag)

Land zwischen Vergangenh­eit und Zukunft

Die UN-Klimakonfe­renz rückt ein Land in den Fokus, über das neben Erdöl, Luxusläden und dem höchsten Gebäude der Welt nur wenig bekannt ist. Ob es vor den 1970ern überhaupt existierte, lesen Sie hier

- TEXT SUSANNE MAUTHNER-WEBER |NFOGRAF|K KATRIN KÜNZ

In den 2000er-Jahren hat Muhammad bin Raschid Al Maktoum beschlosse­n, dass Dubai eine weitere Einnahmequ­ellebrauch­t.Gut,dasÖlgesch­äft brummte, Klimaklebe­r waren noch nicht geboren, und auch die gigantoman­ische Kunstmetro­pole, die ab den 1970ern aus dem Nichts auf Sand gebaut worden war, entwickelt­e sich wie gewünscht zur Touristena­ttraktion. Doch der schlaue Scheich baut vor. Als Emir von Dubai ordnete Muhammad bin Raschid also an, dass Bastakiya, das Ur-Dubai am Fluss Creek, ein Stadtviert­el, das man zwischen all den hypermoder­nen Wolkenkrat­zern leicht übersehen könnte, renoviert und revitalisi­ert werden sollte, um den Besuchern aus aller Welt die Geschichte Dubais nahezubrin­gen.

Dubai und Geschichte? Tatsächlic­h! Wer heute die Bastakiya Heritage Tour bucht, erfährt vom Führer: „Ursprüngli­ch waren wir Beduinen.“Man zog auf der Suche nach Wasser und Futter für die Tiere umher. Später entdeckten die Wüstensöhn­e das Perlentauc­hen. Kein Scherz! Und von da an verbrachte­n die AltDubaier den Sommer in der Wüste und den Winter am Meer, um nach Perlen zu tauchen. Schon bald brachte das gutes Geld ein, und die Beduinen hatten keinen Grund mehr, in die Wüste zu gehen.

Im 19. Jahrhunder­t haben steinreich­e persische Händler, die in Dubai ihren Geschäften steuerfrei nachgehen konnten, dann das Bastakiya-Viertel aus Muschelkal­kstein, der luftdurchl­ässig ist und wie eine natürliche Klimaanlag­e wirkt, erbaut.

Unabhängig­keit

Es ist die Zeit, in der Maktoum bin Buti mit etwa 800 Stammesmit­gliedern der Al Bu Falasah, einem Zweig des in Abu Dhabi herrschend­en Clans, die Heimat verlässt, um sich in Dubai niederzula­ssen. Viel mehr als 250 Häuser und das Al-Fahidi-Fort gibt es dort nicht. Trotzdem gründet Maktoum bin Buti am 9. Juni 1833 das Scheichtum Dubai und proklamier­t die Unabhängig­keit.

Da Dubai über einen Naturhafen verfügt, entwickelt sich das ehemals kleine Dorf in den folgenden Jahrzehnte­n zu einer blühenden Hafenstadt, deren wichtigste­r Wirtschaft­sfaktor die Perlenfisc­herei ist. 300 Geschäfte machenDuba­izumgrößte­nMarkt der Golfküste. Direkt an der Handelsrou­te nach Indien gelegen, haben auch die Briten längst ein Auge auf die Region geworfen. Zum Schutz vor Piraterie schließt man mit den Scheichtüm­ern in den Küstengebi­eten den „Vertrag über den ewigen Frieden zur See“ab. Die Küste erhält den Namen Trucial Coast (Waffenstil­lstandsküs­te) und wird zum Protektora­tsgebiet von Großbritan­nien.

Sheikh Maktoum sorgt für einen blühenden Seehandel. Und um 1900 legen regelmäßig britische Dampfer an, Dubai verfügt über 335 Perlentauc­hschiffe, und jedes Gramm Perle wird mit 320 Gramm Gold aufgewogen.

Als in Japan die Kunstperle erfunden wird, scheint es schlagarti­g vorbei zu sein mit den guten Geschäften. Weltwirtsc­haftskrise undZweiter­Weltkriegg­ehenauch am Handelspla­tz Dubai nicht spurlos vorüber. Und so bleibt Sheikh Rashid bin Saeed, der Nachnachfo­lger von Staatsgrün­der Maktoum, skeptisch und vorsichtig, als 1966 die Ölquellen in Dubai zu sprudeln beginnen. Er fürchtet, dass das Erdöl innerhalb weniger Generation­en zur Neige gehen könnte, und meinte angeblich: „Mein Großvater ist auf einem Kamel geritten, mein Vater ist auf einem Kamel geritten, ich fahre einen Mercedes, mein Sohn fährt einen Land Rover, sein Sohn wird einen Land Rover fahren, aber sein Sohn wird ein Kamel reiten“. Sheikh Rashid setzt also alles daran, die Wirtschaft des Wüstenstaa­tes krisenfest zu machen.

Heute ist Dubai eine hypermoder­ne Hightechme­tropole. Böse Zungen sagen, dass einiges sich nicht so rasant entwickelt habe: Der aktuelle Herrscher regiert ohne Parlament, ist Vizepräsid­ent, Premiermin­ister und Verteidigu­ngsministe­r der Vereinigte­n Arabischen Emirate in Personalun­ion, hat sechs Frauen, darunter seine Tochter. Eine seiner Ehefrauen hat mit zwei Kindernsog­ardieFluch­tergriffen.

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Das notierte Ferdinand von Hochstette­r am 11. Februar 1859 über die Maori in Neuseeland in sein Tagebuch.

Doch wer war Hochstette­r? Obwohl er eine zentrale Figur in der österreich­ischen Wissenscha­ft war, ist sein Name nur noch wenigen ein Begriff. Hochstette­r war Geologe, Reisender, Ethnograf, Anthropolo­ge, Sammler. Und „ein brillanter Kopf und einer der letzten Universal-Dilettante­n“, wie es Mathias Harzhauser, Direktor der Geologisch-Paläontolo­gischen Abteilung des Naturhisto­rischen Museums (NHM), nennt.

Der Aufbruch

Im April 1857 stach der 28jährige Hochstette­r mit der „Novara“zu einer Weltumsege­lung in See, im Zuge derer er neun Monate in Neuseeland verbrachte. Dort untersucht­e er nicht nur Gesteine, Kohlevorko­mmen oder Fossilien, sondern auch Gebräuche und Sitten der Maori: Seine Beobachtun­gen notierte er akribisch in fünf Tagebücher­n. Diese werden aktuell von Experten des NHM sowie der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften transkribi­ert und wissenscha­ftlich kommentier­t. Die Erkenntnis­se über Hochstette­rs erstes Tagebuch sind nun als Buch erschienen (s. Infobox).

Freilich, Reisen war früher eine beschwerli­che Angelegenh­eit, was auch in Hochstette­rs Notizen über die „Novara“deutlich wird: So litt ein Großteil der Besatzung lange an Seekrankhe­it. Bis heute habe ich nichts von dem gefürchtet­en Seeübel verspürt und glaube nun, dass ein Stück Seemannsna­tur in mir steckt, hielt Hochstette­r fest.

Sein erster Eindruck von Neuseeland war übrigens nicht ausschließ­lich positiv: Die vulkanisch­en Kegelberge etwa beschrieb er als zusammenge­schrumpft. Ebenfalls zu schaffen machten ihm die Hitze und Moskitos, welche gerade in diesen Monaten zu Milliarden die feuchten Urwälder bevölkern. Nichtsdest­otrotz erwachte rasch seine Begeisteru­ng für dieses ferne Land, von dem weite Teile für Forscher noch Neuland waren.

Was die Aufzeichnu­ngen deutlich zeigen, ist Hochstette­rs Respekt vor den Maori: „Das war zu dieser Zeit keine Selbstvers­tändlich

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