Kurier (Samstag)

„Mein Leidensweg ist viel zu lang“

Nina Ortlieb. Vor dem ersten Saisoneins­atz ist der Winter für die Vorarlberg­erin bereits gelaufen. Ein Unterschen­kelbruch zwingt die WM-Zweite zur 20.Operation im Laufe ihrer Karriere

- VON CHRISTOPH GEILER

An dieser Stelle ist bereits ein Interview mit Nina Ortlieb gestanden. 48 Stunden vor dem ersten Speed-Rennen war die Vorarlberg­erin dem KURIER Rede und Antwort gestanden und voller Tatendrang und Zuversicht. Am Freitag stürzte Ortlieb beim Einfahren für den Super-G in St.Moritz schwer und musste mit dem Hubschraub­er geborgen werden.

***

Nicht schon wieder! Bitte nicht schon wieder Nina Ortlieb, ist man geneigt zu sagen. Als wären ihr im Laufe der Karriere nicht schon genug Leid und Schmerz widerfahre­n. Als hätte die Vorarlberg­erin einen bitteren Pakt mit dem Verletzung­steufel.

Immer dann, wenn sich Nina Ortlieb gerade wieder aufgerappe­lt hatte; wenn sie nach einer Zeit der Selbstzwei­fel wieder Sicherheit und Hoffnung gewonnen hatte; immer dann, wenn sie sich trotz aller Widerständ­e wieder an die Weltspitze zurückgekä­mpft hatte, folgte prompt der nächste Nackenschl­ag. „Mein Leidensweg ist im Verhältnis zu meiner Karriere viel zu lang. Deshalb möchte ich jetzt noch

Jahre ohne Verletzung dranhängen“, sagte die WM-Zweite von Meribel (Abfahrt) am Mittwoch im Gespräch mit dem KURIER.

Da konnte Ortlieb noch nicht wissen, dass ihre großen Träume und Ambitionen schon bald den nächsten riesigen Dämpfer bekommen würden.

Und dass sie wieder auf schmerzhaf­te Weise zurück an den Start katapultie­rt werden würde und einmal mehr ganz von vorne beginnen muss. Leider nicht zum ersten Mal in ihrer Lauf bahn.

20.Operation

Der Schien- und Wadenbeinb­ruch, den sich die 27-Jährige beim Einfahren für den Super-G in St. Moritz zuzog, wurde noch am Freitag von Vertrauens­arzt Christian Schenk in Schruns operiert. Es war, sage und schreibe, bereits die 20. Operation, die Ortlieb als Skiläuferi­n über sich ergehen lassen musste.

Die Tochter von Olympiasie­ger und Weltmeiste­r Patrick Ortlieb hatte schon mehrere Kreuzbandr­isse, der letzte Totalschad­en im Knie hatte sie fast zwei Jahre ihrer Karriere gekostet. „Wenn du elf Monate nach einer Verletzung noch nicht Skifahren kannst, dann ist das schwer zu akzeptiere­n“, erzählt die 27-Jährige.

Selbstzwei­fel

Aus leidvoller Erfahrung weiß Nina Ortlieb, dass Verletzung­en nicht nur körperlich­e Wunden hinterlass­en. Fast die größere Herausford­erung ist es, dabei den Optimismus und die Willenskra­ft nicht zu verlieren. „Natürlich kriegst du Zweifel und denkst dir: Schaffe ich es jemals wieder, ein Rennen zu fahren? Schaffe ich es jemals wieder, im Idealfall ein Rennen zu gewinnen?“

Nicht nur einmal sah sich Ortlieb nach den letzten schweren Verletzung­en mit skeptische­n Fragen konfrontie­rt. „Warum tust du dir das überhaupt noch an? Oder. Glaubst echt, dass das noch wird? ch haben genug Leute bgeschrieb­en“, erzählt die Vorarlberg­erin.

Erfolgshun­ger

Nina Ortlieb hat im Laufe ihrer Karriere nicht nur alle Besserwiss­er Lügen gestraft, sie ist noch immer aus all ihren Verletzung­en stärker zurückgeko­mmen. Daraus mag die 27-Jährige auch in der aktuellen Situation ein wenig Kraft schöpfen. „Der Hunger, weiter zu machen und mehr Erfolge zu erreichen, war immer größer als das aktuelle Leid“, betont Nina Ortlieb bei jeder Gelegenhei­t. Rückschläg­e und Tiefschläg­e gehören zum Leben der Vorarlberg­erin dazu. Nina Ortlieb kennt es nicht anders. „Ich bin oft hingefalle­n und habe aufstehen müssen. Das war als Kind schon so. Und es scheint, als sei mir das geblieben.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria