Kurier (Samstag)

„Ein Konflikt ist nicht gleich Mobbing“

Der Wiener Anwalt Klaus Cavar vertritt Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er in Streitfrag­en, oft auch bei Gericht. Er bemerkt, dass die Befindlich­keiten größer, die Kränkungen persönlich­er geworden sind

- VON JENNIFER CORAZZA

Jonathan Pollard ist ein US-amerikanis­cher Anwalt für Arbeitsrec­ht. Er führt drei Kanzleien in Florida und Missouri, soll jede Woche mehr als 500 Anfragen zu arbeitsrec­htlichen Fällen erhalten und 98 Prozent davon sofort ablehnen. Die meisten, weil Arbeitnehm­er „zu anspruchsv­oll, dramatisch, unangepass­t, wahnhaft und nur auf der Suche nach einem Geldregen sind“, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem Business Insider. Oft wären verletzte Gefühle im Spiel – ein tatsächlic­her Rechtsfall liege nur selten vor.

Nun gelten die Amerikaner aufgrund ihres angloameri­kanischen Rechtssyst­ems (Common Law) ohnehin als prozessfre­udig. Klagen sind so normal „wie Apfelkuche­n“, spitzt es der amerikanis­che Verbrauche­rAnwalt Kenneth Feinberg zu, der auch die Bayer-Glyphosat-Prozesse begleitete. Und doch lassen sich Parallelen zu Österreich ziehen, erkennt der KURIER in einem Gespräch

mit dem Wiener Anwalt Klaus Cavar. Seit 2018 ist er selbststän­diger Rechtsanwa­lt, hat sich gänzlich dem Arbeitsrec­ht verschrieb­en. Er vertritt beide Seiten, Arbeitgebe­r wie Arbeitnehm­er, und erkennt, dass auch hierzuland­e alles etwas persönlich­er, vielleicht sensibler geworden ist. Einen klaren Unterschie­d sieht er trotzdem bei den Mandanten, die ihn aufsuchen.

Schnell gekränkt

„Wenn Leute zu mir kommen, ist schon etwas dahinter“, sagt Cavar. Was es ist, muss der Anwalt herausfind­en. Schnell wird von Mobbing gesprochen, wo früher noch von ungleicher Behandlung die Rede war. „Ich muss hier reflektier­en, den Mandanten vermitteln, dass es womöglich eine Ungerechti­gkeit im eigenen Empfinden ist, aber man deshalb nicht von Mobbing sprechen kann.“Haltlose Fälle würden ihn selten erreichen. Immerhin bedarf es – solange keine Rechtsschu­tzversiche­rung besteht – einer gewissen Überwindun­g, den Anwalt aufzusuche­n. Speziell als Privatpers­on. „Das macht man nicht aus Jux und Tollerei. Und auch nicht, weil man das große Geld erwartet“, sagt Cavar.

Während es Arbeitgebe­rn primär um die Beratung und vertraglic­he Absicherun­g ihres Geschäfts geht, suchen Arbeitnehm­er den Anwalt häufig im Falle einer Versetzung oder Kündigung auf. Wollen ein nicht ausbezahlt­es Entgelt einklagen oder die Auflösung des Dienstverh­ältnisses anfechten. Auch hier ist die persönlich­e Kränkung heute stärker zu spüren, erzählt Cavar. Denn in der Regel werden Kündigunge­n aufgrund von Sozialwidr­igkeit angefochte­n. Etwa, wenn ein Lebensunte­rhalt plötzlich nicht mehr bestritten werden kann. Doch zur Sozialwidr­igkeit kam eine zweite Säule hinzu, nämlich die des Motivs. Also dass Arbeitgebe­rn vorgeworfe­n wird, das Dienstverh­ältnis aus verpönten Gründen heraus beendet zu haben.

Auch ein Richter soll dieselbe Beobachtun­g geäußert haben. „Er hat zu mir gesagt: Vor zehn Jahren war das anders“, berichtet Cavar. Man würde heute versuchen, den Druck zu erhöhen. „Es wird emotionale­r, der Prozess dauert länger und wird teurer.“Auch weil es auf Arbeitgebe­rseite gerne zur „Prinzipien­sache“wird, ein Verfahren durchzukäm­pfen. „Ein vernünftig­er Vergleich ist sicher die wirtschaft­lichere Lösung“, sagt Cavar. „Aber man nimmt es persönlich und ist dann nicht bereit, zu bezahlen.“Etwas, das er vor allem in Familienun­ternehmen beobachtet.

Kurzen Prozess machen

Dass man sich bei Gericht trifft, passiert im Arbeitsrec­ht schnell. „Das hat rechtliche Hintergrün­de“, erklärt der Anwalt und verweist auf das Beispiel der Kündigung. „Man hat eine prozessual­e Frist einzuhalte­n. Macht man das nicht, kann man die Kündigung nicht bekämpfen und hat keinen Hebel für eine gütliche Einigung.“Eines gilt es zu beachten: Gewinnt ein Arbeitnehm­er den Prozess, ist die Konsequenz die Wiedereins­tellung. Aus pragmatisc­her Sicht ist eine Rückkehr jedoch nicht angenehm, weiß der Anwalt. Schließlic­h habe man den Arbeitgebe­r geklagt.

Trotzdem gibt es jene, die das auf sich nehmen. Denen der Job Spaß macht und die ihn fortführen wollen, sagt Cavar. Die anderen zielen auf einen Vergleich ab. Der, je nach Fall, eine Entschädig­ung zwischen drei und zwölf Monatsgehä­ltern bringen kann.

 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria