Die Krux mit dem Montessori-Hype
Vom Spielzeug bis zur Einrichtung wird damit geworben. Warum das problematisch ist und wie das Konzept des offenen Unterrichts in der Schule umgesetzt wird Hintergrund
Schlichte Figuren, Ringe und Taler aus Holz, in allen Farben des Regenbogens. Zum Stapeln, Sortieren und Verwandeln. Montessori-Spielzeug lässt jede spielerische Freiheit. Das abstrakte Material soll Kinder zu individuellen Aktivitäten ermuntern und ihre Entwicklung bestmöglich fördern.
Massenhaft Produkte
Sucht man im Internet nach Montessori, stößt man inzwischen auf eine Flut an Erzeugnissen. Vom Kleiderkasten bis zum Lernturm, vom Bett bis zum Bücherregal, dazu massenhaft Spielwaren: Unzählige Hersteller locken mit dem Begriff. Eine Entwicklung, die Saskia Haspel, Gründerin und Leiterin des Montessori-Zentrums Wien, bedauert: „Alles, was bunt ist und sich bewegen lässt, heißt jetzt Montessori. Das ist schade, denn so können Interessierte nicht einschätzen, was wirklich aus der Pädagogik kommt.“Montessori als reines Verkaufsargument zu nutzen, verwässere auch den Grundgedanken des Konzepts. „Montessori baut auf respektvoller Haltung dem Kind gegenüber auf. Wir fördern Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Ohne jemanden dazu zu drängen oder das soziale Miteinander auszuklammern.“Jedes Kind werde mit seinen Stärken und seinem Tempo gesehen und „es wird ihm Raum zur Entfaltung gegeben“.
Auf die Räume wird besonders viel Wert gelegt: Dort sollen Kinder alles finden, was sie für ihre Entwicklung brauchen. Dass im InterAtmosphäre net suggeriert wird, man müsse als Elternteil den Wohnraum vom Bad bis zum Schlafzimmer nach Montessori einrichten, sieht Haspel kritisch. „Das muss absolut nicht sein. Wichtig ist, dass ein Kind zu allem, was es erreichen können soll, hinkommt. Die Materialien sollten gut in offenen, niedrigen Regalen angeordnet werden.“
Bildungskonzept
Nach diesem Prinzip werden auch Montessori-Bildungseinrichtungen von der Kleinkindgruppe bis zur Maturaklasse gestaltet. Von rigiden Lehrplänen wird Abstand genommen, eigenverantwortliche Freiarbeit in entspannter
betont. Wie groß die Nachfrage von Eltern nach alternativen Erziehungskonzepten ist, weiß Barbara Schober, Bildungspsychologin an der Uni Wien: „Weil sie Ganzheitlichkeit und Individualität im regulären System oft vermissen.“Studien dazu, welches dieser Alternativkonzepte die besten Effekte fürs Kind hat, seien allerdings rar. Grundsätzlich seien die Grundgedanken der Montessori-Pädagogik aber für jedes Kind geeignet. Entscheidend sei, anzuerkennen, dass der Weg zur Selbstständigkeit und das erreichbare Ausmaß an Unabhängigkeit nicht bei allen Kindern gleich sei. „Darauf muss Rücksicht genommen werden. Dann bleiben auch keine Bildungsziele auf der Strecke.“
Offener Unterricht gelte nach aktuellen bildungspsychologischen Standards als sinnvoll, betont Schober, „aber nur, wenn Sorge getragen wird, dass Lernende die Kompetenzen haben damit umzugehen“. Freiarbeit, die eigene Wege und Individualität beim Lernen zulässt und Eigenständigkeit fördert „ist sehr sinnvoll, schwierig wird es, wenn Freiarbeit bedeutet, dass alle gleichermaßen allein gelassen werden mit dem Lernen“. Das sei „falsch verstandene Individualisierung und überfordert viele“.
Ist Montessori ein Hindernis,
Kinder mit ihren spielerischen Bedürfnissen unter dem Motto „Hilf mir, es selbst zu tun“in den Fokus des Lernens stellen – unter diesem Leitmotiv begründete die italienische Ärztin Maria Montessori die Pädagogik Anfang des 20. Jahrhunderts
In Österreich bietet das „Montessori Zentrum“Infos zu Aus- und Fortbildungen (montessori.at) sowie „Montessori-zuHause“-Kurse für Eltern (montessorionline.at) an
wenn das Kind in eine Regelschule wechselt? Schober: „Im Idealfall haben Kinder Sicherheit beim Lernen erworben und können sich gut anpassen. Enge Stundenkorsette und inhaltlich-formale Vorgaben sind aber fraglos eine Umstellung.“
Viele Familien können es sich ohnehin nicht leisten, das Kind nach Montessori unterrichten zu lassen. Zu hoch sind die Kosten – bis zu 500 Euro Gebühr pro Monat –, die bei den Privatschulen anfallen. „Bedauernswert“, sagt Haspel. „Es gibt aber engagierte Pädagogen mit Montessori-Ausbildungen, die das Konzept im öffentlichen System umzusetzen versuchen.“