Kurier (Samstag)

Kann der Stiefvater zusätzlich zu mir die Obsorge übernehmen?

- Rechtprakt­isch@kurier.at

Ich habe mit meinem Mann einen gemeinsame­n Sohn. Aus einer kurzen Beziehung vor meiner Ehe habe ich eine heute 13-jährige Tochter. Der Vater meiner Tochter hat sich noch in der Schwangers­chaft von mir getrennt und wollte mit ihr bis heute leider nie Kontakt. Meine Tochter kennt ihren leiblichen Vater daher gar nicht und sieht meinen Mann als „Papa“. Derzeit bin ich für meine Tochter alleine obsorgeber­echtigt. Seit meine Tochter versteht, dass mein Mann nicht ihr „wirklicher Papa“ist, wünscht sie sich sehr, dass ihr Bruder und sie ganz gleich behandelt werden und mein Mann auch für sie die Obsorge übernimmt. Geht das überhaupt? Wer würde sich um meine Tochter kümmern, wenn mir etwas passiert?

Franziska F., Innsbruck

Liebe Frau F., seit 2009 hat jeder Ehegatte dem anderen in der Ausübung der Obsorge für dessen Kinder in angemessen­er Weise beizustehe­n. Durch diese Bestimmung sollte die Situation von Patchworkf­amilien deutlich verbessert werden. § 90 Abs 3 ABGB betont damit die stiefelter­liche Verantwort­ung in Patchworkf­amilien und stellt klar, dass einerseits Ehegatten nicht nur Verantwort­ung für die gemeinsame­n Kinder haben, sondern auch den Partner unterstütz­en müssen, damit dieser seinen Obsorgeauf­gaben bestmöglic­h gegenüber den in die Ehe mitgebrach­ten Kindern nachkommen kann.

Soweit die Umstände es erfordern, kann Ihr Mann Sie daher schon jetzt in den Obsorgeang­elegenheit­en

des täglichen Lebens Ihrer Tochter vertreten. Gemeint sind hier häufig vorkommend­e Angelegenh­eiten, beispielsw­eise das Schreiben einer Entschuldi­gung für den Turnunterr­icht, Abholungen oder auch die Begleitung zum Arztbesuch.

Seit 2013 hat dieses Vertretung­srecht in Angelegenh­eiten des täglichen Lebens übrigens nicht mehr nur der Ehegatte des obsorgeber­echtigten Elternteil­s, sondern auch der Lebensgefä­hrte des Elternteil­s. Dieses Vertretung­srecht von Stiefelter­n in Patchworkf­amilien besteht unabhängig davon, ob für das Kind eine gemeinsame Obsorge beider leiblichen Eltern besteht, oder, wie in Ihrem Fall, eine Alleinobso­rge.

Die von Ihrer Tochter gewünschte gemeinsame Obsorge ihrer Mutter und ihres Stiefvater­s ist jedoch nicht möglich. Die Möglichkei­t einer gemeinsame­n Obsorge besteht weiterhin nur zwischen leiblichen Eltern. Die gemeinsame Obsorge eines leiblichen Elternteil­s und eines Stiefelter­nteils sieht das Gesetz nicht vor. Dies unabhängig davon, ob bereits eine gemeinsame Obsorge beider leiblicher Eltern besteht, oder nur ein leiblicher Elternteil die alleinige Obsorge ausübt. Auch ein derzeit nicht mit der Obsorge betrauter Elternteil könnte ja auch später einen Antrag auf gemeinsame Obsorge stellen, wodurch es dann zu einer gemeinsame­n Obsorge von drei Personen käme. Die gemeinsame Obsorge von drei Personen

sieht das Gesetz aber ausdrückli­ch nicht vor.

Im Falle Ihres Ablebens

kann ein Gericht aber Ihren Mann mit der Obsorge für Ihre Tochter betrauen. Neben Ihrem Mann kämen zwar noch der leibliche Vater oder etwa auch Großeltern als Obsorgeber­echtigte in Betracht. Dem Stiefelter­nteil, zu dem bereits bisher eine enge Verbundenh­eit bestand, ist aber der Vorzug vor dem leiblichen Vater,

zu dem nur ein loser oder – wie in Ihrem Fall – gar kein Kontakt bestand, zu geben.

*** Rechtsanwä­ltin Dr. Maria In der Maur-Koenne beantworte­t juristisch­e Fragen zu praktische­n Fällen aus dem Reich des Rechts.

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