Warum nicht einmal Ärzte als Influencer?
Die Politik lässt das medizinische Personal im Stich
Wer vergangenen Montag am Nachmittag in der Wiener Innenstadt unterwegs war, der konnte nicht daran vorbei: etwa 500 Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte marschierten bei eisigen Temperaturen vom Neuen Markt in die Operngasse, über die Ringstraße, vorbei Am Hof und über den Graben zum Stock- im-Eisen-Platz. Mehr Personal, mehr Zeit für Patientinnen und Patienen und letztlich höhere Gehälter waren die Hauptforderungen, die in mehreren Reden artikuliert wurden.
Bereits zuvor hatte die Kurie der Angestellten der Wiener Ärztekammer einen detaillierten Zehn-Punkte Plan entworfen. Die Reaktionen der Bevölkerung waren durchaus kontrovers: Während die Menschen am Straßenrand klatschten, winkten und mit ihren Handys fotografierten, wurde in diversen Foren in Printmedien und auf Social Media auch Unmut geäußert. Der Tenor: „Was wollen die noch? Haben eh genug bekommen.“
Eine Frage, die sich viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Demonstration – und nicht nur diese – stellten, war: Wo bleibt die Reaktion der Politik auf die erhobenen Forderungen? Begriffe wie sozial und Leistung werden doch nahezu tagtäglich von allen politischen Parteien in Österreich in deren Argumentation verwendet. Und wenn das medizinische Personal einen Hilferuf artikuliert, wird es damit im Stich gelassen, einfach ignoriert? Dazu kam ein weiterer Umstand, der Unverständnis und auch Unmut hervorrief: Wo bleibt eigentlich die zuständige Gewerkschaft? Sind eventuell Funktionäre anwesend? Sind Ärztinnen, Ärzte und Pflegepersonen nicht auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Bedürfnissen, die es lautstark zu vertreten gilt? Und das, nachdem wenige Tage zuvor eine Teilgewerkschaft sogar zum Streik bei den Handelsangestellten aufgerufen hatte.
Reader's Digest befragte 32.000 Menschen europaweit nach dem Ansehen verschiedener Berufsgruppen. 90 Prozent der Österreicher vertrauen Ärztinnen und Ärzten, 24 Prozenten vertrauen Gewerkschaftern und nur 10 Prozent Politikern. Sogar Gebrauchtwagenverkäufer schneiden besser ab.
Wäre es demnach nicht an der Zeit, sich dem Gesundheitspersonal anzunähern und ihm das zuzugestehen, was die Bevölkerung offensichtlich bereit ist, zu honorieren? Natürlich nagt keine Medizinerin und kein Mediziner am Hungertuch, das müssen Berufspolitiker und Funktionäre freilich auch nicht. Tolle Fotos sind wahlkampftechnisch mitunter wirkungsvoll. Zur Abwechslung könnte man es ja einmal mit Fotos an der Seite eines Kinderarztes, einer Hebamme oder einer Chirurgin versuchen. Hermann Maier und David Alaba wären sicher nachsichtig.
*** ist Facharzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Herzchirurgie und Gefäßchirurgie der Klinik Floridsdorf, Gastprofessor der MedUni Wien und ärztlicher Leiter der Patientenschiedsstelle der Ärztekammer für Wien
..