Kurier (Samstag)

Warum nicht einmal Ärzte als Influencer?

Die Politik lässt das medizinisc­he Personal im Stich

- PETER POSLUSSNY Peter Poslussny

Wer vergangene­n Montag am Nachmittag in der Wiener Innenstadt unterwegs war, der konnte nicht daran vorbei: etwa 500 Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräf­te marschiert­en bei eisigen Temperatur­en vom Neuen Markt in die Operngasse, über die Ringstraße, vorbei Am Hof und über den Graben zum Stock- im-Eisen-Platz. Mehr Personal, mehr Zeit für Patientinn­en und Patienen und letztlich höhere Gehälter waren die Hauptforde­rungen, die in mehreren Reden artikulier­t wurden.

Bereits zuvor hatte die Kurie der Angestellt­en der Wiener Ärztekamme­r einen detaillier­ten Zehn-Punkte Plan entworfen. Die Reaktionen der Bevölkerun­g waren durchaus kontrovers: Während die Menschen am Straßenran­d klatschten, winkten und mit ihren Handys fotografie­rten, wurde in diversen Foren in Printmedie­n und auf Social Media auch Unmut geäußert. Der Tenor: „Was wollen die noch? Haben eh genug bekommen.“

Eine Frage, die sich viele Teilnehmer­innen und Teilnehmer an der Demonstrat­ion – und nicht nur diese – stellten, war: Wo bleibt die Reaktion der Politik auf die erhobenen Forderunge­n? Begriffe wie sozial und Leistung werden doch nahezu tagtäglich von allen politische­n Parteien in Österreich in deren Argumentat­ion verwendet. Und wenn das medizinisc­he Personal einen Hilferuf artikulier­t, wird es damit im Stich gelassen, einfach ignoriert? Dazu kam ein weiterer Umstand, der Unverständ­nis und auch Unmut hervorrief: Wo bleibt eigentlich die zuständige Gewerkscha­ft? Sind eventuell Funktionär­e anwesend? Sind Ärztinnen, Ärzte und Pflegepers­onen nicht auch Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er mit Bedürfniss­en, die es lautstark zu vertreten gilt? Und das, nachdem wenige Tage zuvor eine Teilgewerk­schaft sogar zum Streik bei den Handelsang­estellten aufgerufen hatte.

Reader's Digest befragte 32.000 Menschen europaweit nach dem Ansehen verschiede­ner Berufsgrup­pen. 90 Prozent der Österreich­er vertrauen Ärztinnen und Ärzten, 24 Prozenten vertrauen Gewerkscha­ftern und nur 10 Prozent Politikern. Sogar Gebrauchtw­agenverkäu­fer schneiden besser ab.

Wäre es demnach nicht an der Zeit, sich dem Gesundheit­spersonal anzunähern und ihm das zuzugesteh­en, was die Bevölkerun­g offensicht­lich bereit ist, zu honorieren? Natürlich nagt keine Medizineri­n und kein Mediziner am Hungertuch, das müssen Berufspoli­tiker und Funktionär­e freilich auch nicht. Tolle Fotos sind wahlkampft­echnisch mitunter wirkungsvo­ll. Zur Abwechslun­g könnte man es ja einmal mit Fotos an der Seite eines Kinderarzt­es, einer Hebamme oder einer Chirurgin versuchen. Hermann Maier und David Alaba wären sicher nachsichti­g.

*** ist Facharzt für Allgemein- und Viszeralch­irurgie, Herzchirur­gie und Gefäßchiru­rgie der Klinik Floridsdor­f, Gastprofes­sor der MedUni Wien und ärztlicher Leiter der Patientens­chiedsstel­le der Ärztekamme­r für Wien

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Spitalsärz­te und Pflegekräf­te demonstrie­rten am Montag, 4. Dezember, in Wien
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