Kurier (Samstag)

Eine Eisprinzes­sin im Terrorstaa­t

Giacomo Puccinis „Turandot“an der Wiener Staatsoper – wenn Weltstars wie Jonas Kaufmann und Asmik Grigorian in einer psychoanal­ytisch-diktatoris­chen Eishölle leben

- VON PETER JAROLIN

Wien gegen Mailand – das war das große Match am 7. Dezember in der internatio­nalen Opernwelt. Giuseppe Verdis „Don Carlo“(siehe unten) und mit vielen Weltstars, darunter Anna Netrebko und Elina Garanča, in der Hauptstadt der Lombardei. Das Alternativ­programm dazu in Wien: Giacomo Puccinis „Turandot“ebenfalls mit einigen Stars, wie Asmik Grigorian und Jonas Kaufmann. Beide hatten zuvor ihre Partien noch nie szenisch gesungen. Für Grigorian war es überhaupt ein Rollendebü­t, von Kaufmann gab es bis dato nur eine CD-Einspielun­g.

Hochspannu­ng also am Ring. Und was ist passiert? Viele Bravos für die musikalisc­he Seite und massive Proteste gegen das Leading Team – das war sie dann aber auch schon, die Premiere von Giacomo Puccinis letzter, unvollende­ter an der Staatsoper.

Nur knapp zwei Monate nach einer Neuprodukt­ion von „Il trittico“wird Puccini im Haus am Ring also wieder gefeiert – anlässlich der Wiederkehr seines 100. Todestages im Jahr 2024. Und dies in einer der Papierform nach Topbesetzu­ng. Startenor Jonas Kaufmann als Calaf und Asmik Grigorian in der Titelparti­e. So ganz überzeugen­d war diese Huldigung aber dennoch nicht.

Terror

Das beginnt bei der an sich klugen, aber sich teilweise auch selbst konterkari­erenden Interpreta­tion von Regisseur Claus Guth. Dieser nämlich verlegt das Geschehen rund um Calaf, Turandot und Liu in einen nicht näher definierte­n Terrorstaa­t. Alle sind hier gleichgesc­haltet, tragen froschgrün­e Anzüge und orangefarb­ene Haare (Kostüxis me: Ursula Kudrna) – das lässt an Nordkorea denken. Die Bühne (Etienne Pluss) ist zweigeteil­t in eine obere und eine untere Ebene.

Ansage: Wir befinden uns hier in einem Psychodram­a! Zumal selbst die berühmte Türe zu Sigmund Freuds Prain der Wiener Berggasse nicht fehlen darf. Durch diese geht Calaf, um sein Ideal einer Frau zu finden. Turandot wiederum ist von Puppen (Statistinn­en mit Masken) umgeben und erscheint Calaf auf einer riesigen Leinwand als Traumbild. Sie aber flüchtet sich meist in ihr Bett. Denn diese Prinzessin hat ein Herz, es ist nur in diesem Regime zu Eis geworden. All das ist nachvollzi­ehbar, nicht immer logisch, aber vor allem im Finale durchaus berührend.

Denn dafür hat man an der Staatsoper das Finale „Alfano

1“gewählt. Soll heißen: Nach Lius Selbstmord kommt es nicht gleich zum Happy End, sondern zu einer starken Szene zwischen Calaf und Turandot. Gut so, eine richtige Entscheidu­ng! Denn von den vielen nachkompon­ierten Finali ist dies das plausibels­te.

Womit wir endgültig bei der musikalisc­hen Seite wären. Mit Dirigent Marco Armiliato steht – als lange schon vorgesehen­er Einspringe­r für den erkrankten Franz WelserMöst – ein Vollprofi am Pult des souveränen Orchesters der Wiener Staatsoper (sehr gut auch der Chor), der Puccini mit Saft und Kraft und nur manchmal etwas zu laut, zu brachial erklingen lässt.

Kraft

Armiliato ist aber ein Kapellmeis­ter im besten, positivste­n Sinne, der auch immer an die Interprete­n denkt, mit ihnen fühlt und atmet. Dies kommt der Starbesetz­ung zugute. Denn die wunderbar intensive Asmik Grigorian ringt mit der Partie der Turandot vokal sehr. Ja, sie behauptet sich in ihren großen Arien und Szenen souverän. Die Kraftanstr­engung hört man allerdings immer wieder.

Jonas Kaufmann ist ein sehr feiner Calaf, der auch mit dem berühmten „Nessun Dorma“punkten kann. Dass sein heldischer Tenor sich inzwischen immer mehr ins Baritonale verlagert, muss ja kein Nachteil sein. Als Singschaus­pieler ist Kaufmann ohnehin überragend; dieser Stimme hört man einfach gerne zu.

Mit zärtlicher Vollkraft gibt die umjubelte Kristina Mkhitaryan eine hinreißend­e Liu; die Minister Ping, Pang, Pong sind mit Martin Häßler, Norbert Ernst und Hiroshi Amako gut besetzt. Dan Paul Dumitrescu als Timur und Jörg Schneider als Altoum fügen sich gut ein.

Fazit: Diese „Turandot “ist nicht der große Hit. Aber leben kann die Staatsoper damit allemal. Und China muss ja nicht immer am Ring liegen. Denn die Wiener Psychoanal­yse geht auch. KURIER-Wertung: ★★★ά★

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Eine durch und durch traumatisi­erte Prinzessin: Asmik Grigorian als Turandot an der Staatsoper
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