Kurier (Samstag)

Eine dunkle Welt, ein dunkles Werk und viel Strahlkraf­t

„Don Carlo“mit Anna Netrebko und Elina Garanča an der Mailänder Scala

- DENISE WENDEL-PORAY, MAILAND

Kritik. Der 7. Dezember, der Tag des Stadtheili­gen Sant’Ambrogio, gehört traditione­llerweise der Mailänder Scala – da wird die neue Opernsaiso­n mit einem großen Spektakel eröffnet. Diesmal gab es gleich zu Beginn einen Zwischenru­fer und kurze Irritation: „Nein zum faschistis­chen Italien“, schrie ein Besucher nach der von Riccardo Chailly dirigierte­n Hymne – und schon spielte Politik eine große Rolle, wie überhaupt im ganzen „Don Carlo“von Giuseppe Verdi.

Immer wieder wird in dieser Oper vom Traum von einer besseren Welt gesprochen. Das war es auch, was etwa Patti Smith, die das Werk zum ersten Mal sah, am meisten beeindruck­te, wie sie anschließe­nd erzählte. Ein intensives Werk, ein intensiver Abend, auch wenn szenisch kaum etwas passiert.

Lluìs Pasqual, ein Schüler von Giorgio Strehler, führte Regie, legt kaum Wert auf Personenfü­hrung, es ist zwar alles linear erzählt, aber voller Stereotype und sehr statisch. Dafür sind die Ausstattun­g (Daniel Bianco) und die Kostüme (Franca Squarciapi­no) besonders schön, authentisc­h, von spanischer Architektu­r und von Goya inspiriert, mit viel Alabaster und Halskrause­n. Ein visuelles Fest, das die Scala in Schwarz-Gold taucht.

Gesungen wird großteils fabelhaft, mit einem Höhepunkt: Ebolis „O don fatale“von Elina Garanča ist atemberaub­end schön, nachdem ihre erste Arie von Chailly noch ziemlich verschlepp­t wurde.

Das Debüt der Diva

Grandios auch „Tu che le vanità“, die letzte Arie der Elisabeth, die erstmals szenisch von Anna Netrebko gestaltet wurde. Da spielte die Sopranisti­n all ihr Können aus, ihr traumhafte­s, dunkles Timbre, ihre Kraft in allen Registern. Während Garanča als Eboli die ganze Zeit hindurch beeindruck­te, konzentrie­rte sich Netrebko aber vor allem auf diesen Moment und war davor nicht allzu präsent.

Francesco Meli ist ein Don Carlo mit hellem Timbre, schöner Phrasierun­g, toller Darstellun­g eines fragilen Charakters, aber leichten

Problemen in der Höhe. Luca Salsi als Posa agiert solide, aber nicht sehr lyrisch. Michele Pertusi ist trotz Erkrankung ein toller Philipp mit enormer Ausstrahlu­ng. Jongmin Park musste kurzfristi­g als Großinquis­itor einspringe­n, sein Duett mit Philipp war nicht annähernd so mächtig, wie es sein müsste.

Das Scala-Orchester spielte klangschön, dramatisch, Musikdirek­tor Chailly musste sich aber sehr mit der Koordinati­on und stringente­n Tempi abmühen. Exzellent der Chor. Insgesamt eine gute Aufführung mit hohem Starfaktor und ein Erfolg für Direktor Dominique Meyer mit einer Produktion nach Art des Hauses. KURIER-Wertung: ★★★★★

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Nach einem konzertant­en Test 2020 in Dresden nun erstmals szenisch: Anna Netrebko als Elisabeth in „Don Carlo“

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