Kurier (Samstag)

Eine Traumnovel­le als vertonte Bilderbuch­geschichte

Der Bruder des Direktors erzählt „Die Inkommensu­rablen“nach

- VON THOMAS TRENKLER

Journalist­en aus Deutschlan­d merkten in ihren Kritiken über Raphaela Edelbauers neuen Roman „Die Inkommensu­rablen“gerne an, dass dieser „wortwörtli­ch am Vorabend des Ersten Weltkriegs“spiele. Denn am 30. Juli 1914 konsultier­t der 17jährige Hans Ranftler in Wien die Psychoanal­ytikerin Helene Cheresch. Den weiteren Tag und die folgende Nacht verbringt der Knecht aus Tirol mit der jüdischen, frauenrech­tlerischen Studentin Klara Nemec, die dem Arbeitermi­lieu entstammt, und dem adeligen Adam Jesenky, der ein Faible für die Musik von Arnold Schönberg hat.

Aus deutscher Sicht handelt es sich tatsächlic­h um den Vorabend. Denn am 1. August erklärte man Russland den Krieg. Aus österreich­ischer Sicht hingegen hatten die „Letzten Tage der Menschheit“bereits begonnen – mit der Kriegserkl­ärung an Serbien am 28. Juli. Das mag nur eine Nebensächl­ichkeit sein. Aber auch in der Dramatisie­rung von „Die Inkommensu­rablen“, die am Donnerstag im Volkstheat­er ihre zweistündi­ge Uraufführu­ng erlebte, dominiert die deutsche Sicht auf Wien und das ausklingen­de Fin de Siècle.

Mit ungeheurem Aufwand

Man hat sich schon beim Lesen gewundert, dass Hans als Tiroler am Südbahnhof angekommen sein soll. In der Umsetzung von Nils Voges, dem Bruder des Volkstheat­erdirektor­s, und dessen Kollektiv „sputnic“vernimmt man ein lautes „Nächster Halt: Südbahnhof“– als sei dieser nicht Endstation gewesen. Später taucht Hans mit seiner heterogene­n Freundesru­nde in die Kanalisati­on ab, um das „queere Wien“kennenzule­rnen. Man hört in Dolby Surround, wie ein Kanaldecke­l beiseitege­schoben wird. Wiewohl die dreieckige­n Abdeckunge­n aufgeklapp­t werden müssen, wie man spätestens seit dem „Dritten Mann“weiß.

Aber das Wien, das Nils Voges mit viel Aufwand bestenfall­s skizziert, ist ohnedies kein reales: Hans erzählt der Psychoanal­ytikerin seine „Traumnovel­le“in Trance. In dieser wird auch Jazz gespielt und zu Techno-Beats (von Fiete Wachholtz) getanzt. Da vermischen sich Vergangenh­eit und Gegenwart.

Die Mittel, die Voges einsetzt, kennt man aus dem Objektthea­ter und dem Schattensp­iel, allerdings technisch perfektion­iert. Die Akteure – Gerti Drassl und Anna Rieser, Hardy Emilian Jürgens und Fabian Reichenbac­h – bedienen in Overalls, während sie sprechen, hochgerüst­ete Overhead-Projektore­n. Unentwegt legen sie Folien mit Zeichnunge­n von Karl Uhlenbrock auf. Und auf der Cinemascop­e-Leinwand dahinter entsteht eine sich andauernd verändernd­e „Graphic Novel“. Mitunter erinnert das synchron Gebotene an einen Trickfilm, weil sich z. B. Münder auf oder zu bewegen.

Der stark verkürzte Plot unterhält, Nils Voges betont Absurdes und hat Witz. Denn der Graf fordert den

Knecht auf, sich bei ihm daheim wie zu Hause zu fühlen, und Hans kontert trocken, dass dies schwierig sei. Die Österreich­erinnen dürfen zudem schrill das Bassena-Wienerisch karikieren. Mitunter überträgt sich das Gezeichnet­e auch auf die Bühne, etwa wenn es zu einer Schlägerei kommt. Später tasten sich die Freunde unterhalts­am durch die Kanalisati­on und zwängen sich dabei aufdringli­ch durch das Publikum.

Dann wird Heroin konsumiert, der Trip mit einem Video in grellen Farben – Jürgens irrt als Hans durch das Volkstheat­er – illustrier­t. Der Katzenjamm­er folgt sogleich: Der Held zieht in den Krieg. Freiwillig? Oder war da Suggestion im Spiel? KURIER-Wertung: ★★ά★★

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Die Darsteller als Folienaufl­eger: Fabian Reichbach und Gerti Drassl

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