Kurier (Samstag)

„Wir dürfen sie nicht vergessen“

Der Comic „Frau, Leben, Freiheit“ist ein kompaktes Erklärbuch über die Protestbew­egung. Warum das heute so wichtig ist, erklärt Zeichnerin Bahareh Akrami

- VON CHRISTINA BÖCK

„Der zündende Funke der Revolte“heißt die erste Geschichte im neuen ComicBand „Frau, Leben, Freiheit“(Rowohlt), den die Illustrato­rin und Filmemache­rin Marjane Satrapi herausgege­ben hat. Comiczeich­nerin Bahareh Akrami und Politologe Farid Vahid erzählen darin die letzten Stunden von Mahsa Jina Amini und wozu sie geführt haben. Am 13. September 2022 wird die junge Frau in Teheran von der Sittenpoli­zei verhaftet und so schwer am Kopf verletzt, dass sie ins Koma fällt (siehe auch Seite 8). Im Comic erklärt das Alter Ego der Zeichnerin, das sei „die Technik der verdammten Bastarde, die Frauen dorthin zu schlagen, wo sie ihrer Ansicht nach sündigen.“Ihr Gesprächsp­artner, die Verletzung­en von Demonstrie­renden in Teheran im Geheimen versorgt hat. Sie können in keine Spitäler, weil sie dort wahrschein­lich verhaftet werden. Eines Abends verschwand sie nach so einem Einsatz. Die Behörden sagten erst, sie hätte einen Autounfall gehabt, dann, sie hätte sich aus Liebeskumm­er von einer Brücke gestürzt. Die Verletzung­en ihrer Leiche erzählen aber eher von schwerer Folter.

Akramis knapper, aber dringliche­r Kommentar über diese Porträts: „Ich will, dass diese Menschen nicht vergessen werden.“

Über die aktuelle Situation sagt sie: „Ja, es stimmt, es sind weniger Demonstrat­ionen, denn die Iranerinne­n und Iraner haben Angst. Die Unterdrück­ung, die Repression­en waren jetzt ein Jahr lang wirklich erbittert. Und noch dazu ist die wirtschaft­liche Situation ein Fiasko. Die Menschen versuchen einfach nur, zu überleben. Sie bleiben aber trotzdem mobilisier­t, eben auf andere Arten, besonders mit zivilem Ungehorsam. Abgesehen davon ist es aber eine fundamenta­le Bewegung, hier wurde eine Gesellscha­ft in ihrem Kern aufgewühlt.“

„Es ist deprimiere­nd, dass die Medien das Interesse verloren haben.“

Nach Freiheit dürsten

Es wird weiterhin gefoltert und getötet, vor allem im berüchtigt­en Gefängnis Evin, aber in den Medien findet man längst nicht mehr so viele Artikel über den Iran wie noch vor Monaten, wird nicht mehr hingeschau­t? „Ja, es ist deprimiere­nd, dass die Medien das Interesse an der Situation verloren haben. Aber so sind die Regeln des Nachrichte­ngeschäfts. Wir Iraner der Diaspora müssen uns jetzt dafür einsetzen, dass weiter darüber geredet wird. All jene, die nach Freiheit dürsten und wir, die wir ihren Kampf weitertrag­en, wissen: Erlösung kommt nicht von Politikern, wer immer sie sein mögen, sondern durch die Zivilbevöl­kerung.“

KURIER-Wertung: ★★★★★

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Ein brennendes Kopftuch ist Symbol für die Aufstände

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