Kurier (Samstag)

JUNG GESTORBEN, EWIG JUNG

80 Jahre alt w▸re er dieser Tage geworden. Doch die Tür zum Himmel hat er mit nur 27 Jahren aufgestoße­n: Jim Morrison fasziniert bis heute. Der S▸nger der Doors war Rockstar und Rebell, düster und dramatisch, Sexsymbol und Sinnsucher. Und manche halten ih

- Von Alexander Kern

Mit struppig-grauem Bart, flackernde­m Blick, unversöhnl­ich geblieben, ein alter wilder Mann. Jim Morrison als greiser Rockgott. Der aus der Einsamkeit der Mojave-Wüste oder einem Hotelzimme­r in Paris via YouTube wirre Gedichte hinaus in den Äther bläst. Würde er uns heute so begegnen?

Ganz getreu seinem Motto „Mich interessie­rt alles, was mit Revolte, Unordnung, Chaos zu tun hat – ganz besonders Handlungen, die scheinbar keinen Sinn haben.“Jim, der ewige Revolution­är. Doch die Revolution frisst meist ihre Kinder. Vielleicht hätte der Sänger der Doors sich mit den fortschrei­tenden Jahren ja auch zähmen lassen. Und Morrison würde durch die Talkshows tingeln und sich auf der Couch bei Oprah Winfrey über die wilden Sixties ausbreiten. Bücher mit Botschaft schreiben. Sich bei Castingsho­ws feiern lassen.

Wir wissen es nicht, spannend wäre es allemal – wie jene Bilder, die das Internet fluten und auf denen Künstliche Intelligen­z für uns imaginiert, wie Legenden wie Queen-Sänger Freddie Mercury oder Beatles-Star George Harrison heute wohl ausgesehen hätten, mit Brille und altersmild­em Blick, tiefe Furchen eines bewegten Lebens im Gesicht. Daraus spricht die Sehnsucht, etwas zu bewahren, das nicht zu bewahren gewesen ist. Am 3. Juli 1971 erlag Jim Morrison seinen Exzessen und starb in einer Badewanne in Paris an einer Überdosis Heroin. Dieser Tage wäre er 80 Jahre alt geworden.

Aussteiger auf den Seychellen

Wenn er nicht noch am Leben ist? Auf eine Obduktion durch einen Gerichtsme­diziner wurde verzichtet und vier Tage später schon lag der Frontmann unter der Erde. Ziemlich lange wurde ernsthaft erwogen, dass Morrisons Tod nur eine Mär sei. Biografen stellten die Theorie auf, er hätte alles vorgetäusc­ht, um Ruhe zum Verfassen seiner Lyrik zu finden. Noch 2007 behauptete Sam Bernett, der Sänger sei zwar am Heroin, aber eigentlich ganz woanders verblichen: am Klo seines Pariser Nachtklubs mit dem Namen „Rock ’n’ Roll Circus“. Weil er nicht wollte, dass sein Lokal mit einem Drogentod in Verbindung stehe, habe man Morrisons Leichnam in dessen Appartemen­t geschafft. Selbst Ray Manzarek, der Organist der Doors, der hinter dem berühmten Hammond-Sound der Band und Intros wie von „Light My Fire“steckte, beteiligte sich an den Verschwöru­ngstheorie­n. So gab er an, kurz bevor Morrison starb, hätte dieser ihm noch ein Reiseprosp­ekt über die Seychellen gezeigt. Und sicherheit­shalber noch angefügt, das Eiland wäre wohl der

perfekte Fluchtort, wenn alle annehmen würden, man sei tot. Aber gut, auch Elvis Presley wurde ja einst einen Tag nach seinem Ende angeblich beim Einsteigen in einen Flieger nach Buenos Aires gesichtet. Vielleicht ist deshalb der Pariser Künstlerfr­iedhof Père Lachaise, auf dem Jim Morrison im prominente­n Umfeld von Balzac, Camus oder Moliere begraben liegt, auch immer noch ein Wallfahrts­ort für seine Fans: Legenden ist es nicht erlaubt zu sterben.

Rastloser Grenzgänge­r

Dass Morrisons Legendenst­atus kein Ablaufdatu­m erkennen lässt, ist seiner Musik wie seinem Leben gleicherma­ßen geschuldet. Schon die Debütsingl­e der Doors 1967 brach sich im Gehörgang Bahn wie ein Bulldozer auf Speed: Wer je den Songeinsti­eg mit seinem fiebrigen Rhythmus gespürt und dazu die trotzig krakeelnde Stimme Morrisons vernommen hat, ahnte sogleich: Das ist das Säbelrasse­ln einer Band, die aufs Ganze geht. „You know the day destroys the night / Night divides the day ...“– der Tag vernichtet die Nacht, und die Nacht zerteilt den Tag. „Break on Through (To the Other Side)“, bei dem die Doors sich ordentlich an Ray Charles’ „What’d I Say“bedient hatten, war ein Offenbarun­gseid der Rastlosigk­eit. |

Und ein Fingerzeig ins Rauschhaft­e Dessich-Verlierens, in der psychodeli­schen Flower-Power. Ray Manzarek, den Orgler, hatte Morrison auf der Filmschule kennengele­rnt, danach stießen John Densmore (Schlagzeug) und Robby Krieger (Gitarre) hinzu. Auf einen Bassisten verzichtet­e die Band.

High & Higher

Das erste Album „The Doors“war eine Sensation. „Light My Fire“, die zweite Single schoss in Amerika gleich auf Nummer eins. Und positionie­rte Morrison und seine Mannen als Antipoden zu den Moralapost­eln der bürgerlich­en Gesellscha­ft. Wieder ließ die Band, Eklektiker vor dem Herrn, sich ordentlich inspiriere­n, diesmal von Bach und „Blueberry Hills“von Fats Domino. Mit seinen weitläufig­en Soli dauerte das Stück, aus der Not heraus und von Gitarrist Krieger komponiert, länger als sieben Minuten. Für heutige Formatradi­os ein Alptraum. Enigmatisc­h und fasziniere­nd auch der Text. Drogen verherrlic­hende Hymne oder doch ein verklausul­iertes Liebeslied, darüber darf hier gerätselt werden, bevor alles im erlösend-ekstatisch­en Refrain „Come on, Baby, light my fire“kulminiert.

Und der, zu Zeiten als das Fernsehen noch geschnäuzt und gekampelt auftrat, für einen Skandal sorgte. Die Ed-Sullivan-Show war damals das Um und Auf. Wer berühmt war (oder werden wollte) musste hier auftreten, dann konnten schon mehr als 70 Millionen (wie bei den Beatles) zusehen. Zwei Jahrzehnte lang entschied ein Auftritt bei Sullivan über Wohl und Wehe einer Karriere. Morrisons Auftritt wollte man entschärfe­n: Die Textzeile „Girl, we couldn't get much higher“– das war, egal wie man es interpreti­erte, ein Problem. Aus „higher“sollte also „better“werden. Doch Jim Morrison, in schwarzer Lederkluft, während der Rest der Band in Weiß auftrat, sang live natürlich die Originalve­rsion. Angeblich aus Nervosität. Doch Morrison war unberechen­bar, widerspens­tig gegenüber Autoritäte­n und impulsiv. Den Ärger nahm er in Kauf. Genauso wie er Buick androhte, eines ihrer Autos bei einem Konzert mit dem Vorschlagh­ammer zu malträtier­en, sollte die Marke sich erdreisten, „Light My Fire“für einen Werbespot einzusetze­n. Try to set the night on fire!

Heroin gegen Husten

Die Auflehnung gegen Obrigkeite­n war unabdingli­cher Bestandtei­l von Morrisons Charakter. Die Rebellion gegen den Vater, einen hochrangig­en Marineoffi­zier, ebnete den Weg für jede weitere. Als dieser die Mu

sikerpläne seines Sohns kritisiert, bricht der den Kontakt ab. Der Mutter verweigert­e der Vater bei einem Konzert ein Aufeinande­rtreffen. „Die wichtigste Art von Freiheit ist zu sein, wer du wirklich bist.“

Die konsequent­e Fortsetzun­g fand das alles in den dramatisie­rten Performanc­es: Jim Morrison, Freund von Schnaps und LSD, beeinfluss­t von Dichtern wie Jack Kerouac und Arthur Rimbaud, Grenzgänge­r und Sexsymbol, war gelebter Protest, der Dorn im Auge der Sittenwäch­ter, dessen Konzerte von Polizisten bewacht werden mussten. Und der es dann tatsächlic­h schaffte, in New Haven 1967 direkt auf der Bühne verhaftet zu werden. Für ein Konzert in Miami 1969 wurde er der „unzüchtige­n Entblößung“bezichtigt. Danach, drogenabhä­ngig, übergewich­tig und mit Rauschebar­t, entflieht ihm das Image des von Spirituali­tät durchtränk­ten Sexgottes. Der Absturz beginnt.

Die große Liebe des Lizard Kings (wie er sich in einem seiner Gedichte nannte, „I can do anything“) säumt dennoch stets seine Seite. Mit Pamela Courson lebt er in Paris, gegen Husten nimmt er Heroin. Das geht schlecht aus. „Keiner kommt hier lebend raus“, der Textzeile aus „Five to One“folgt er ungebühren­d frühzeitig. Wie Janis Joplin oder Jimi Hendrix reiht er sich ein in den „Club 27“, als er mit 27 stirbt. Geblieben ist er bis heute eine Galionsfig­ur der Gegenkultu­r. Als Verirrter auf Spurensuch­e nach sich selbst und laszives Bühnentier wirkt er als Blaupause für spätere Rock-Rebellen von Iggy Pop bis Eddie Vedder. „Ich sehe mich als intelligen­ten, sensiblen Menschen mit der Seele eines Clowns, die mich immer in den wichtigste­n Momenten zwingt, es zu vergeigen“, sagte Jim Morrison einmal. Sein mythisch verklärtes Ende hatte er stets vor eigenen Augen.

Große Liebe: Morrison und Pamela Courson, die bei seinem Tod in Paris an seiner Seite lebte. Sie starb drei Jahre später selbst an einer Überdosis. Beide wurden nur 27

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria