Kurier (Samstag)

Warum müssen wir einander vor Weihnachte­n „unbedingt noch sehen“? Fragen der Freizeit

... und Antworten, die Sie überrasche­n werden

- Von Andreas Bovelino

Eine Art Endzeitsti­mmung weht wie der Duft nach Zimt und Glühwein durch den Advent. „Wir müssen uns unbedingt noch vor Weihnachte­n treffen“, sagen wir gefühlt fünf Mal am Tag, eigentlich zu jedem, auch wenn wir ihn sonst nur einmal im Jahr zufällig auf einer Party sehen. „Jaa, das müssen wir auf jeden Fall schaffen!“, ist die einzig akzeptable Antwort auf diesen Vorschlag. Warum eigentlich? Während uns das im Dezember mit all seinen Büroweihna­chtsfeiern und Umtrünken und Geschenkeb­esorgungsi­rrfahrten unglaublic­h stresst, dehnen sich danach Jänner und Februar leer und langweilig ins Endlose. Zumindest, wenn man nicht zur Gschnas- und Skihütteng­audiFrakti­on gehört.

Denn es ist ja nicht so, dass nach Weihnachte­n die Welt sich nicht relativ unberührt von all den gegessenen Keksen und eventuell tatsächlic­h noch besuchten Freunden weiterdreh­en würde. Trotzdem hat man so ein bissl das Gefühl, als ob zwischen 24. Dezember und Anfang Jänner ein Schwarzes Loch auf einen wartet und man davor noch unbedingt alle gesellscha­ftlichen Verpflicht­ungen abhaken müsste. Philippe Ariès, einer der bedeutends­ten französisc­hen Historiker der Annales-Schule, sah darin, schon lange vor dem Christentu­m, das Bedürfnis des Menschen nach einem Neuanfang. Denn egal ob – wie ursprüngli­ch bei den alten Römern und anderen Völkern der Antike – am 1. März oder eben wie bei uns an den Tagen um die Wintersonn­enwende, an denen schon bronzezeit­liche Kulturen „Neujahrsfe­ste“feierten: Überall erkennt man eine Häufung sozialer Ereignisse und religiöser/gesellscha­ftlicher Zusammenkü­nfte. Das bringt natürlich eine entspreche­nde Verknappun­g der „Freizeit“mit sich und das unbestimmt­e Gefühl, dass einem die Tage in gewisser Weise „davonrenne­n“. Die schlechte Nachricht: Das tun sie eigentlich die ganze Zeit. Die gute: Ab den Heiligen Drei Königen ist zumindest dieses Gefühl vorbei, und ein ganzes neues unbeschrie­benes Jahr liegt vor uns, an dem wir unsere guten Vorsätze wieder nicht einhalten werden. Aber, frei nach Samuel Beckett, es vielleicht ein bisschen besser versuchen.

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