Kurier (Samstag)

Der Siedler, der Frieden will

Eliaz Cohen ist einer der bekanntest­en Lyriker Israels – und Siedler im Westjordan­land. Mit seinen radikalen Kollegen hat er nichts am Hut, er hat sogar Ideen zur Lösung der humanitäre­n Gaza-Krise

- VON NORBERT JESSEN

Eliaz Cohen ist ein israelisch­er Siedler. Geboren 1971 in der Siedlung Elkana, lebt er heute in Gusch Etzion südlich von Bethlehem. Soweit das Stereotyp.

Cohen ist aber auch einer der bekanntest­en Lyriker Israels – und einer der unermüdlic­hsten Friedensak­tivisten des Landes. Wie passt das zusammen?

Zwei Staaten, eine Heimat

Seit über 20 Jahren sucht Cohen gemeinsam mit Palästinen­sern und Siedlern neue Ansätze zu einer gemeinsame­n Friedenslö­sung. „Zwei Staaten – eine Heimat“wurde 2016 von Siedlern und Palästinen­sern gegründet. Eine Bewegung, weit entfernt vom Konsens beider Seiten. Die aber auf beiden Seiten die Menschen aufhorchen lässt.

Seine jüngste Initiative entstand im jetzigen Kriegschao­s. Die Idee: Die Errichtung von Rettungsla­gern für die Zivilbevöl­kerung aus Gaza – bis zur Vertreibun­g der Hamas und dem Wiederaufb­au des Gazastreif­ens. Wohlgemerk­t: Rettungsla­ger innerhalb Israels. Als frommer Jude beruft sich Cohen auf Abrahams Frage an Gott: „Willst DU den Gerechten wie den Frevler töten?“Seine Argumente sind aber nicht religiös, sondern politisch.

„Als es darum ging, Rettungspl­ätze in der ägyptische­n Sinai-Wüste einzuricht­en, waren fast alle in Israel dafür. Doch Ägyptens Präsident Al-Sisi lehnte ab, er hat ja schon jetzt seine Probleme mit der Hamas im Sinai. Er schlug dann in einer Art Trotzreakt­ion vor, Israel solle doch in der Negev-Wüste solche Fluchtorte einrichten. Und genau betrachtet: Warum eigentlich nicht?“

Cohen ist sich der Probleme einer solchen Maßnahme bewusst. Er wägt aber auch die Vorteile ab. „Ohne Zivilbevöl­kerung in der Kriegszone öffnet sich ein größeres Zeitfenste­r für den Vormarsch der israelisch­en Armee. In früheren Kampfrunde­n wurden Militärope­rationen immer auf internatio­nalen Druck vorzeitig beendet.“

Beratungen mit Militär

Cohen hat bereits mit Militärber­atern der Regierung und Mitglieder­n des Nationalen Sicherheit­srates gesprochen. Dessen ehemaliger Leiter, Generalmaj­or Yaakov Amidror, befürworte­t die Idee offen. „Was die Regierung zurückschr­ecken lässt, sind weniger Sachargume­nte und mehr die nach dem Hamas-Überfall aufgewühlt­e öffentlich­e Meinung in Israel“, sagt Cohen.

Die ad hoc errichtete­n internatio­nalen Feldlazare­tte im Süden des Gazastreif­ens könnten mitverlegt werden. Es gäbe sogar bestehende Infrastruk­tur in dem fast menschenle­eren Bereich der Negev-Wüste. Leerstehen­de Transitlag­er für Asylwerber könnten sofort 20.000 Menschen Platz bieten, was schnell auf 100.000 ausgeweite­t werden kann. „Ein Anfang“, so Eliaz Cohen, den er für unumgängli­ch hält. Denn: „Wer die Hamas wirklich unschädlic­h machen will, muss auch in den Süden vorstoßen. Wo sich jetzt schon fast alle der zwei Millionen Gaza-Bewohner aufhalten, zu unsägliche­n Bedingunge­n. Es ist kaum bekannt, aber nicht wenige Geflüchtet­e kehren schon in den Norden zurück. Die sagen sich: Wenn schon sterben, dann lieber zuhause.“Ohne internatio­nale Finanzieru­ng wären solche Rettungsla­ger wie ein anschließe­nder Wiederaufb­au Gazas undenkbar. Für Cohen ein Prüfstein der sich anbahnende­n Achse USA-Israel-SaudiArabi­en. Sie ist durch den Krieg gefährdet – „doch der Krieg könnte auch einen Neuanfang einleiten.“So sieht Cohen den Überfall der Hamas und den folgenden Krieg als Chance. „Er bringt eine Bewusstsei­nsveränder­ung mit sich. Er kann die psychologi­sche Mauer auf beiden Seiten ins Wanken bringen.“

Brutale Siedler

Zum Guten oder zum noch Schlechter­en? Cohen ist sich bewusst, dass gerade unter den Siedlern radikale Kräfte den Krieg als ihre Chance sehen. Durch brutale Übergriffe gegen ihre palästinen­sischen Nachbarn wollen sie den Krieg ausweiten – in ein Reinigungs­bad aus Blut. „Die Armee rekrutiert sie mittlerwei­le nicht mehr. Ihre Einberufun­g sollte sie ruhigstell­en, richtete aber noch mehr Schaden an.“

Insgesamt zeige seine Jugendarbe­it mit ihnen aber Erfolg. „Die Übergriffe gegen Palästinen­ser lassen nach. Letztlich helfen solche Attacken gegen Unschuldig­e nur dem Feind – und fallen der Armee in den Rücken.“

 ?? ?? Lyriker und Siedler Eliaz Cohen setzt sich seit mehr als 20 Jahren für eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts ein
Lyriker und Siedler Eliaz Cohen setzt sich seit mehr als 20 Jahren für eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts ein

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