Kurier (Samstag)

Rätselhaft­es Fischester­ben

Strände im Norden sind übersät mit toten Fischen. Die Regierung beteuert, das habe nichts mit dem Fukushima-Kühlwasser zu tun, das man seit August in den Pazifik spült

- VON JOHANNES ARENDS JAPAN

Seit 25 Jahren gehe er schon an diesen Strand, um mit seinem Boot in See zu stechen, erklärte ein Fischer gegenüber der japanische­n Zeitung Mainichi Shimbun. „Aber so etwas habe ich noch nie gesehen.“Buddhismus und Shintoismu­s sind zwar die vorherrsch­enden Religionen in Japan, doch es waren biblische Szenen, die sich in der Vorwoche an der Ostküste der nördlichst­en japanische­n Insel, Hokkaido, abspielten.

Ein kilometerl­anges, silbriges Meer lebloser Fischkörpe­r bedeckte die Strände. Insgesamt wurden im Dezember schon mehr als 1.200 Tonnen toter Makrelen und Sardinen angeschwem­mt. Aus Angst, die Tiere könnten beim Verwesen den Sauerstoff­gehalt des Wassers verändern, begannen Fischer, sie aufzusamme­ln und zu entsorgen. Die Behörden warnten die Bevölkerun­g eindringli­ch davor, die Fische zu essen, bis die Ursache des Massenster­bens geklärt ist.

„Unwissensc­haftlich“

Doch genau diese Frage ist es, die derzeit zum immer größeren Politikum in Japan wird. Online verbreitet­en sich die Bilder der Naturkatas­trophe wie ein Lauffeuer, viele Japaner spekuliere­n in den sozialen Medien über einen Zusammenha­ng mit dem Kühlwasser des zerstörten Atomkraftw­erks Fukushima, das seit August in den Pazifik gepumpt wird.

Die japanische Regierung will davon jedoch nichts wis

Tokio

Hakodate Strand

Pazifik

Fukushima sen. Auf einen entspreche­nden Bericht der britischen Daily Mail reagierte die nationale Fischereib­ehörde in Japan empört: „Die Ergebnisse von Wasserprob­en im Pazifik haben in den letzten Monaten keine Anomalien aufgezeigt. Wir sind in erster Linie über die Verbreitun­g von unwissensc­haftlichen Informatio­nen besorgt.“

Die Entscheidu­ng, das Fukushima-Kühlwasser im Meer zu entsorgen, hatte schon vorab großen Ärger im In- und Ausland nach sich gezogen. Das Wasser enthält kleine Mengen radioaktiv­en Tritiums, habe aber laut der Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde der Vereinten Nationen (IAEA) „vernachläs­sigbare Auswirkung­en auf Mensch und Umwelt“.

In Fukushima war es 2011 zur Katastroph­e gekommen, als drei der sechs Kernreakto­ren überhitzte­n. Nun reichen die Speicherka­pazitäten für das damals zur Kühlung verwendete Wasser nicht mehr aus, weil es sich mit Regen- und Grundwasse­r

Ein Bild, das sich kilometerl­ang an Stränden der Insel Hokkaido bot: Tagelang wurden Hunderttau­sende tote Makrelen und Sardinen angespült. Die Regierung warnt davor, die Tiere zu essen

vermengt. Deshalb sei die Entsorgung notwendig geworden, heißt es.

Diplomatis­che Verstimmun­gen zu den unmittelba­ren Nachbarn brachte das Vorgehen Japan trotzdem ein. Vor allem in China ist der Zorn bis heute groß, die Regierung in Peking verbot sogar den Import von Meeresfrüc­hten und Fischen aus Japan. Russland zog ebenfalls nach. Tokio wirft der chinesisch­en Regierung dagegen „Heuchelei“vor, auch chinesisch­e AKWs würden Abfälle ins Meer pumpen.

Woran hat es gelegen?

Was aber könnte die Hunderttau­senden Fische sonst getötet haben? Japanische

Forscher gingen inzwischen mit unterschie­dlichen Mutmaßunge­n an die Öffentlich­keit. Sardellen und Makrelen seien eigentlich nicht vor den Küsten Hokkaidos heimisch, große Schwärme müssten also durch äußere Umstände wie eine hohe Zahl von Raubfische­n oder einen plötzliche­n Temperatur­abfall im Ozean vertrieben worden sein, so eine Theorie.

„Die Ursache ist momentan noch unbekannt“, gab die Fischereib­ehörde in dieser Woche jedenfalls zu. Man müsse das Ergebnis der Untersuchu­ngen von Wasserprob­en abwarten, die vor Ort entnommen wurden.

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