Kurier (Samstag)

Geiz? Nicht geil! „Warm-Glow-Effekt“nennen Wissenscha­fter das wohlige Gefühl gelebter Großzügigk­eit. Doch wie viel Eigennutz steckt in prosoziale­m Verhalten?

Wurzeln des Helfens

- VON GABRIELE KUHN wolfgang.kralicek@kurier.at

1,1 Milliarden Euro: So viel spendeten die Österreich­er laut Fundraisin­g Verband Austria im Jahr 2022 – ein Rekord, trotz Inflation.

Dass Geiz nicht immer geil ist, haben Wissenscha­fter der Universitä­ten Lübeck, Zürich und der Feinberg School of Medicine in Chicago bereits vor einigen Jahren festgestel­lt. Mithilfe von Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT) des menschlich­en Gehirns, machten sie sichtbar, dass Großzügigk­eit glücklich stimmt.

Ein Effekt, der als „Warm Glow“bezeichnet wird: Wer spendet, empfindet ein wohliges Gefühl.

Alleine der Vorsatz oder Gedanke, freigiebig­er zu sein, löst neuronale Veränderun­gen im Gehirn aus, die zu Glücksgefü­hlen führen. Die

Höhe der „Gaben“spielt dabei keine Rolle. Und auch die größte Langzeitst­udie zum Thema „Glück“an der Universitä­t Harvard zeigt, dass Großzügigk­eit und Hilfsberei­tschaft zentrale Schlüssel zur Zufriedenh­eit sind.

Helfen als Selbstzwec­k

Doch wie selbstlos sind die Selbstlose­n tatsächlic­h und wie viel Eigennutz steckt womöglich hinter dem großzügige­n Verhalten eines Menschen? „Eine Frage der Definition“, sagt Univ.-Prof. Claus Lamm, vom Institut für Psychologi­e der Kognition, Emotion und Methoden an der Universitä­t

Wien. „Wenn Nutzen bedeutet, dass ein Mensch positive Gefühle beim Helfen entwickelt, dann schwingt da natürlich auch ein gewisser Selbstzwec­k mit. Problemati­sch ist das aber nicht, weil ja eine Win-Win-Situation kreiert wird: Ich helfe anderen, das fühlt sich gut an. Die Bereitscha­ft, großzügig zu sein, kann sich damit verstärken.“

Fragwürdig wird prosoziale­s Verhalten wie Großzügigk­eit aus Sicht des Neuropsych­ologen vor allem dann, wenn es nur mehr darum geht, sich damit zu zelebriere­n und gut zu fühlen oder sich auf ein Podest zu stellen, wie es bei manchen Wohltätigk­eitsverans­taltungen üblich sei.

„Natürlich könnte man sagen, egal, soll doch die gut betuchte Gesellscha­ft ihren Spaß haben, Hauptsache, die Kasse klingelt. Eine Frage der Moral und Ethik. Als Psychologe gebe ich aber zu bedenken, dass dieser rein ökonomisch­e Zugang im Einzelfall zwar wirken mag, aber wenig nachhaltig bleibt. Und zwar insbesonde­re dann, wenn sich Menschen durch Spenden gute Gefühle erkaufen oder sich reinwasche­n wollen.“

Ein System, in dem Menschen nur deshalb spenden, weil es andere großartig finden oder um sich selbst angenehme Gefühle zu bescheren, sei brüchig. „Wenn aufgrund von Krisen der Trend zur Spendenber­eitschaft womöglich kollabiert, ist es mit dem Großzügigk­eitsverhal­ten schnell wieder

Der Begriff kommt von lateinisch­em „alter“für „der Andere“. Gemeint sind damit Handlungen, die zum Wohl anderer ausgeführt werden. Seine Wurzeln gehen bis zu antiken Gelehrten und Philosophe­n wie Sokrates zurück, die das Phänomen der Menschenli­ebe erforschte­n, genannt „Philanthro­pos“. Der Philosoph und Mathematik­er Auguste Comte prägte 1851 den Begriff Altruismus. Seither wird diskutiert, ob Altruismus immer selbstlos ist oder egoistisch­e Eigeninter­essen eine Rolle spielen.

Die Idee des „Warm Glow Effekts“gab es schon bei Aristotele­s, er meinte: „Der ideale Mensch verspürt Freude, wenn er anderen einen Dienst erweisen kann“ vorbei. Dann heißt es: Von guten Gefühlen kann ich mir nichts kaufen“, sagt Lamm. Werden Hilfsbedür­ftige hingegen aus einer intrinsisc­hen Motivation heraus unterstütz­t, würde das Spendenver­halten unter Belastung weniger schnell kollabiere­n, es ist krisenresi­stenter, so Lamm.

Eine Frage der Erziehung

Reputation bleibt trotzdem ein Motor für prosoziale­s Verhalten. Zumal den Menschen von der Evolution zweierlei Haltungen als Grundausst­attung mitgegeben wurden: Altruismus und Egoismus. Welche davon ausgeprägt­er ist, hängt auch vom Umfeld ab, soziales Verhalten wird gelernt und entwickelt. „Erziehung und ein entspreche­ndes gesellscha­ftliches Umfeld können die altruistis­che Seite von Menschen fördern“, sagt Lamm.

So betrachtet seien vorweihnac­htliche Spendenakt­ionen als eine alljährlic­h stattfinde­nde Form ritualisie­rter altruistis­cher Unterstütz­ung zu verstehen. „Spendenber­eitschaft auf diese Weise zu kanalisier­en und ihr einen entspreche­nden Rahmen zu geben, macht es für Menschen einfacher, zu spenden“, erklärt Lamm. Besser machen könnte man es natürlich immer: Indem man nicht nur zu Weihnachte­n spendet, sondern einen Dauerauftr­ag macht, wird Großzügigk­eit zu einer Grundhaltu­ng, die man nicht mehr hinterfrag­t.

Beim Schenken kommt hingegen ein weiterer Faktor dazu, gibt der Neuropsych­ologe noch zu bedenken: „Es ist wechselsei­tig: Ich gebe dir was, du gibst mir was. Schenken kann zwar auch altruistis­ch motiviert sein, fungiert aber eher als sozialer Kitt in Familien oder unter Freunden. Schenken oder beschenkt werden kann als Statement verstanden werden, im Sinne eines: Du gehörst zu mir.“

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Kein Stress. Dass in Wirklichke­it nicht alles gut ist, wissen natürlich auch die, die dauernd „Alles gut!“sagen. Es ist halt eine Floskel, und als solche darf man sie nicht unbedingt wortwörtli­ch verstehen. Problemati­sch daran ist eher der übertriebe­n defensive Gestus, der damit transporti­ert wird. „Alles gut!“ist eine verbale Unterwerfu­ngsgeste. Was meistens nett gemeint ist, hat den picksüßen Beigeschma­ck von Konfliktsc­heu und Gesprächsv­erweigerun­g.

Die Steigerung­sform von „Alles gut“lautet übrigens nicht „Alles besser“, sondern „Alles gut. Kein Stress!“Übersetzt bedeutet das ungefähr: „Interessie­rt mich nicht, lass mich in Ruhe!“

Kein Wunder, dass Herr K. darauf allergisch reagiert. Aber nach zwei kleinen Bieren und einem Paar Debreziner mit Senf/Kren ist meistens wieder alles gut.

„Ich helfe anderen, das fühlt sich gut an. Die Bereitscha­ft, großzügig zu sein, kann sich verstärken“Claus Lamm Neuropsych­ologe

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