Kurier (Samstag)

Entscheidu­ngsträger werden nicht erpresst

Klimaaktiv­isten kommen nicht zu ihrem Recht. Eine Replik

- HELMUT HEIGER Helmut Heiger

Vergangene­n Samstag schrieb Frau Elisabeth Zehetner an dieser Stelle, dass (grüne) Politik offenbar alle Instrument­e nütze, damit Klimaaktiv­istinnen und Klimaaktiv­isten freie Hand zum Ankleben und Einbetonie­ren haben.

Da tun sich zunächst ein paar Unschärfen auf: Es erfolgte keine Weisung, der Beschwerde gegen die Enthaftung von Anja Windl nicht Folge zu leisten – sondern eine Weisung, die Beschwerde zurückzuzi­ehen oder nicht auszuführe­n. Das ist insofern nicht ganz unwesentli­ch, weil die Weisung nur an die Staatsanwa­ltschaft gehen kann und nach dem Einleitung­ssatz der Eindruck entstehen kann, dass die Weisung des grünen Justizmini­steriums (ein Ministeriu­m kann keine Weisungen erteilen, sondern nur die Ministerin als Letztveran­twortliche) an das Gericht ergangen ist, was tatsächlic­h die Grundprinz­ipien unseres Rechtsstaa­tes verletzen würde.

Wesentlich­er erscheint aber, dass Sie den Klimaaktiv­istinnen und -aktivisten vorwerfen, die Demokratie durch die Einschaltu­ng der Justiz zu gefährden und die politische­n Verantwort­ungsträger quasi zu erpressen.

Wir alle glauben hoffentlic­h an eine Gewaltente­ilung und demnach gibt es kein Primat einer der drei (manche nehmen die Presse als fiktive vierte Säule dazu) staatliche­n Gewalten, es kann daher die Judikative die Exekutive gar nicht „erpressen“und die Legislativ­e ist auch vor dem Zugriff der Judikative geschützt, solange sie sich im Verfassung­sbogen bewegt.

Wir können über die Werte unserer Gesellscha­ft diskutiere­n, sie sind sicher einem Wandel unterworfe­n und daher immer neu zu interpreti­eren – aber das Grundrecht auf Leben und körperlich­e Unversehrt­heit ist wohl unstrittig und daher ist nicht einzusehen, warum man dieses nicht einklagen können soll, wenn man sich in diesem oder im zu erwartende­n Verlauf verletzt sieht.

Politische Entscheidu­ngen, auch wenn sie demokratis­ch legitimier­t sind, können die Grundrecht­e nicht außer Kraft setzen, das gilt für den Minderheit­enschutz genauso wie für den Klimaschut­z. Ihr Argument der mangelnden politische­n Legitimati­on geht daher ins Leere.

Und aus der Nichtgeneh­migung einer Beschwerde der Staatsanwa­ltschaft Wien gegen einen Beschluss eines unabhängig­en Gerichtes auf eine mangelnde Äquidistan­z der Justiz zu schließen, ist völlig verfehlt. Wenn überhaupt, können Sie der weisungsbe­fugten Ministerin einen Vorwurf machen, diese ist aber nur einer von zumindest drei wesentlich­en Teilen der Strafgeric­htsbarkeit: Anklage – Verteidigu­ng – Gericht. Also bevor Sie den Untergang unseres freien demokratis­chen Systems andeuten, hinterfrag­en Sie bitte auch Ihr Rechts-, Politikund Demokratie­verständni­s.

Und nein, die Klimaaktiv­isten haben zwar recht, sie bekommen es aber nicht, wie die zahlreiche­n und teils empfindlic­hen Verwaltung­sstrafen zeigen.

*** ist Rechtsanwa­lt in Wien

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Eine Beschwerde gegen die Enthaftung von Anja Windl (Bild) wurde per Weisung verhindert
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