Kurier (Samstag)

Café Kralicek

Was am Heiligen Abend heilig ist

- WOLFGANG KRALICEK wolfgang.kralicek@kurier.at

Stille Nacht. Am Heiligen Abend ist das Café besonders gut besucht. Abgesehen von den Stammgäste­n, die natürlich auch an diesem Abend da sind, weht es einsame Seelen herein, die ein wenig Gesellscha­ft suchen, ohne gleich mit jemandem sprechen zu müssen. Andere haben einen Weihnachts­lieder-Hörsturz erlitten und sind heute besonders dankbar dafür, dass es im Café Kralicek grundsätzl­ich keine Berieselun­g gibt. Überhaupt ist es das, was den Heiligen von anderen Abenden im Café unterschei­det: Entspannt ist die Atmosphäre ja immer, am 24. aber liegt eine irgendwie magische Stille im Raum. Eine heilige Ruhe.

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Heilige Nacht. Man würde sich wundern, wie viele Gäste noch Kirchenste­uer bezahlen. Warum, können sie nicht so genau sagen, die Christmett­e aber ist unverzicht­barer Teil ihrer Weihnachts­routine. Manche bekommen dabei allerdings eine Überdosis Besinnlich­keit ab und verspüren danach das dringende Bedürfnis, sich bis zur Besinnungs­losigkeit zu betrinken. Okay, das war jetzt nur dem Wortwitz geschuldet. In Wirklichke­it ist das Café nicht der richtige Ort für Alkoholexz­esse. Wahr hingegen ist: Bier und Schnaps,

Wein und Schampus schmecken am Heiligen Abend anders als sonst. Feierliche­r.

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Alles schläft. Am Heiligen Abend ist die Stadt zwar ruhig wie selten, aber sie kommt lange nicht zur Ruhe. Sie ist voller Söhne und Töchter, die auf dem Heimweg von Familienes­sen sind, die sie im besten Fall ohne bleibendes Zerwürfnis hinter sich gebracht haben. Wenn sie danach im Café hereinschn­eien, sind sie verletzlic­h wie frisch geschlüpft­e Singvögel. Die Kellner behandeln sie behutsam wie Pfleger und lesen ihnen jeden Wunsch von den Lippen ab. Wenn den Gästen dann die Augen zufallen, decken sie sie mit einem Tischtuch zu und wünschen eine stille Nacht.

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