Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden
Jüdisches Museum Wien. Adina Seeger und Tom Juncker thematisieren am Judenplatz die Sehnsucht nach Frieden – und die Realität des Krieges
Krieg ist omnipräsent. Mit diesen Worten beginnen die Kuratorinnen Adina Seeger und Tom Juncker ihre Einleitung zur Ausstellung „Frieden“. Der Krieg ist auch in Wien präsent – unmittelbar vor dem Eingang des Jüdischen Museums am Judenplatz. Das Gebäude wird, wie das Palais Eskeles, von Soldaten geschützt. Das macht traurig, das schreckt ab. Obwohl es doch in der hervorragend kompilierten Ausstellung um den Frieden geht – und damit um das Fehlen von Krieg. Die gegenwärtige Situation betrübt auch Barbara Staudinger, Direktorin des JMW. Denn nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat das Besucherinteresse stark nachgelassen. Vielleicht aus Angst, sich positionieren zu müssen.
Bei der Ausstellung handelt es sich nicht, wie man vermuten könnte, um einen aktuellen Kommentar zur Situation in Palästina: Die Idee entstand bereits nach Beginn des Ukraine-Kriegs. In der Schau sieht man daher zwei formal ähnliche Bilder, die Zoya Cherkassky-Nnadi unter dem Titel „Before and After“einander gegenüberstellt: Das Aquarell aus 2018, Teil der Serie „Sowjetische Kindheit“, zeigt eine Mutter mit ihrem Kind auf einem Balkon, dahinter eine moderne Stadt. Im „Nachher“-Bild aus 2022 umarmen sich Mutter und Kind sorgenvoll: Panzer rollen durch die Straße, die Häuser stehen in Flammen. Wladimir Putins Krieg ist auch ein „Überfall auf unsere Kindheit“, so die ukrainischisraelische Künstlerin.
Erstaunliche viele Themen werden, hervorragend illustriert, in den drei Kabinetten angeteasert, beginnend mit den Definitionen von Frieden. Hier, an einem „runden Tisch“, darf man aus buntem Papier einen Kranich falten. Denn er steht in Japan für Glück und Langlebigkeit und wurde nach den USAtombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 zum Friedenssymbol: Sadako Sakasi überlebte als Zweijährige den nuklearen Fallout, erkrankte aber an Leukämie
– und faltete im Krankenhaus ohne Unterlass Kraniche. Denn der Legende nach würde, wenn man 1.000 Kraniche gefaltet hat, von den Göttern ein Wunsch erfüllt. Jener des zwölfjährigen Mädchens ging nicht in Erfüllung: Es starb am 25. August 1955.
Nukleare Abrüstung
Kraniche dominieren, zusammen mit dem „Peace“Zeichen – der Grafiker Gerald Holtom verarbeitete dafür die Buchstaben CND (Campaign for Nuclear Disarmament) –, den Holzschnitt „Peace Now“von Ernst Hacker: Der Wiener, 1917 geboren, flüchtete 1938 in die USA und war mit der US-Army 1946 in Japan stationiert.
Im Foyer entdeckt man zudem eine Pflanze. Sie ist ein Setzling jenes KakiBaums, der halb verbrannt die Bombe auf Nagasaki überlebte, und soll im Rahmen der Friedensinitiative „Revive Time: Kaki Tree Project“nach Ende der Schau (bis 26. Mai) in Wien Wurzeln schlagen – wie es weltweit bereits 300 Sämlinge getan haben, darunter auch in Villach.
Und trotzdem ist die Schau ein Kommentar zum Gaza-Krieg. Beziehungsweise eine künstlerische Verarbeitung des Nahost-Konflikts seit dem Jom-KippurKrieg, getragen von der Hoffnung auf dauerhaften Frieden und der Enttäuschung, dass die Politik vieles, wenn nicht alles vermasselt hat. Die Erzählung beginnt mit dem Buch Genesis, dem Ende der ägyptischen Sklaverei und der kriegerischen Eroberung Kanaans: „Mit dem Besitz eines Landes wuchs“, so ist im Katalog zu lesen, „der Wunsch der Israeliten nach Frieden, der immer mehr zum Idealzustand des Zusammenlebens wurde“: Der Messias werde, auf einem Esel reitend, vom Propheten Elias in die „Stadt des Friedens“geführt, um das ewige Friedensreich einzuläuten.
Der „messianische Frieden“macht Waffen daher überflüssig: Aus Schwertern werden Pflugscharen geschmiedet, aus Lanzen Winzermesser. Der palästinensische Künstler Osama Zatar, verheiratet mit einer jüdischen Israelin, zeigt es sehnsuchtsvoll vor: Er baut aus Gewehren und anderen Waffen nützliche Dinge, darunter Schaufeln, Nähmaschinen und Musikinstrumente.
Auch Friedensreich Hundertwasser hegte Hoffnungen: 1978 entwarf er eine „Friedensfahne für das Gelobte Land“– mit Davidstern und Halbmond. Damals bemühte sich Bruno Kreisky als Bundeskanzler (SPÖ) außerordentlich um eine Lösung im Nahost-Konflikt; dass er Kontakte zur Palästinensischen Befreiungsorganisation pflegte, wurde ihm von israelischer Seite verübelt.
Nach seinem Tod gelang Unglaubliches: PLO-Chef Jassir Arafat und Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin unterzeichneten 1993 im Rahmen des Osloer Friedensprozesses ein Abkommen, dass die Selbstverwaltung der Palästinenser im Gazastreifen und Westjordanland vorsah. Man interpretierte dies als Vorbereitung einer Zweistaatenlösung. Im Jahr darauf erhielten Arafat und Israels Außenminister Schimon Peres den Friedensnobelpreis. (In der Ausstellung ist eine Friedensnobelpreismedaille zu sehen, allerdings jene für Alfred Hermann Fried aus 1911). Doch 1995 wurde Rabin von einem jüdisch-israelischen Extremisten ermordet. Die rechtskonservativen Regierungen Israels forcierten, wie man im Katalog zu Ausstellung lesen kann, „den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten, während auf palästinensischer Seite die als Terrororganisation eingestufte Hamas zunehmend an Einfluss gewann“. 2014 erlaubte sich die US-israelische Künstlerin Andi Arnovitz einen ernüchterten Kommentar zum Scheitern des Friedensprozesses. Denn sie ließ unter dem Motto „The Only Thing Left To Do With The Oslo Accords“die Verträge auf Klopapierrollen drucken.
Tiefe Erkenntnis
Seit dem gleichen Jahr fordert die israelische Fraueninitiative „Women Wage Peace“die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen, 2021 wurde die palästinensische Schwesterorganisation „Women of The Sun“gegründet, gemeinsam lancierte man die Petition „Mother’s Call“. Am 4. Oktober fand die letzte gemeinsame Veranstaltung statt – mit 2.000 Teilnehmerinnen. Nach ein paar Sidesteps (z. B. über Österreichs EU-Beitritt) endet die Schau mit Hans Kelsens Analyse „Peace through Law“und einer tiefen Erkenntnis, die auch für Palästina gilt: Ohne Gerechtigkeit kann es keinen Frieden geben.
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