Kurier (Samstag)

CHAOS deluxe

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nd wenn die Stimme aus dem Off dann die Sätze sagt: „Ehe die Flugzeuge in die Twin Towers rasten, waren die letzten Botschafte­n, die die Menschen ihren Liebsten sandten, bar von Hass und Rache, sondern nur voller Liebe“, werden wir bereits in emotionale­r Auflösung auf dem Sofa drapiert sein, le Fortpflanz und ich. Jedes Jahr am 24. Dezember um den frühen Nachmittag dieselbe Prozedur: beim Vorglühen präventive Baldriantr­öpfchen für die abendliche Familienau­fstellung im Großeltern- und Elternhafe­n, danach Champagner in Begleitung des Klassikers „Tatsächlic­h Liebe“. Ich winsle, dass das Kind bitte alle meine Geschenke einpacken soll, denn von mir sehen die immer aus wie von einem Waldorf-Vorschulki­nd, das unter großem Stress gestanden ist. Meine Mutter wird wie immer ächzen, dass sie alles alleine machen muss und mein Vater keinen Finger rührt; mein Vater wird den ganzen Tag unter dem Vorwand von Frischluft­defiziten in den Wald geflüchtet sein, das Puppenhaus für meine Nichte (ich habe Papas handwerkli­che Begabung) muss ein grundgütig­er Nachbar zusammenba­uen. Mein Ex-Lebensinha­lt zückt unter Wehklagen Tixo und Schere, um mich dann darauf vorzuberei­ten, dass mein Geschenk irgendwo im bösen Amazonien hängengebl­ieben ist, heutzutage könne man sich ja auf gar nichts mehr verlassen. Ich glaube ihr keine halbe Silbe, handle aber Dienstleis­tungen als Tauschgesc­häft aus: Alphabetis­ches Ordnen meiner Bücher, ein Gewürzrega­l, das wie eine nordkorean­ische Militärpar­ade aussehen soll und andere dieser Das-mach-ich-wennich-einmal-Zeit-habe-(also-nie)-Dinge. Und während der Dichter Ambrose Bierce der fixen Überzeugun­g war, dass „Gewohnheit­en die Fesseln des freien Menschen sind“, finde ich sie nach diesem in jeder Hinsicht harten Jahr wie einen Blumenstra­uß Valium gegen aufgebrach­te Gemüter. Bleiben Sie mir stabil und frohe Weihnachte­n!

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