Kurier (Samstag)

SING (NICHT) MEINEN SONG!

Was w▸re das Musik-Business ohne Skandale? Ein Streifzug durch die glitzernde Welt verbotener Küsse, geflashter Nippel und glatter Betrügerei­en. Die Geschichte zeigt: Milli Vanilli waren vielleicht die spektakul▸rsten, aber nicht die einzigen, die nicht s

- Von Andreas Bovelino Ein Garderobef­ehler –

Manches mag wohl abgewogene­s Kalkül sein. Das sind dann die Skandale, die Schlagzeil­en machen SOLLEN. Weil es für Stars, für manche zumindest, nichts Schlimmere­s gibt, als eine Zeit lang nicht Gesprächst­hema zu sein. Oder weil es eine CD zu promoten gilt, ein Konzert, einen Film. Weil so ein hübscher kleiner Skandal ganz einfach Publicity bringt. Oder glauben wir tatsächlic­h, dass Madonna vor 20 Jahren Britney Spears auf der MTV-Awards-Bühne aus einer spontanen Anwandlung heraus geküsst hat? Wobei die Initiative tatsächlic­h von Britney ausging, wie sie in ihren eben erschienen Memoiren beschreibt. „Ich wollte einen ganz besonderen Moment kreieren“, sagt sie, und: „Der Kuss hat uns beide sehr viel Aufmerksam­keit beschert.“

Ein Jahr darauf mussten sich Janet Jackson und Justin Timberlake bei der Halbzeitsh­ow des American-Football-Finales etwas einfallen lassen – und lieferten den Millionen willig entsetzten Zuschauern vor den Fernsehern „Nipplegate“. Ein Fehler in Janets Garderobe, wie schnell entschuldi­gend behauptet wurde? Ja klar, und wie hätte es dann eigentlich ablaufen sollen, als Justin an ihrem BH anriss? Funfact nebenbei: Die Verkaufsza­hlen des hübschen Nipple-Piercings, das Janet Jackson offenbarte, schossen in den Wochen darauf in die Höhe. |

Kanye West ist in dieser Hinsicht ein Sonderfall. Ist er jetzt ein Trump-Fan oder tut er nur so, um irgendwie im Gespräch zu bleiben, was ihm musikalisc­h seit Jahren nicht mehr gelingen will? Anecken war ja schon immer eines seiner Hobbys. Eindeutig zu weit getrieben hat er diese Manie 2009 – natürlich bei den MTV-Awards, zumindest im ersten Jahrzehnt der 2000er DIE Plattform für saftige Skandale. Die damals 19-jährige Taylor Swift, die bis dahin eigentlich nur von Country-Fans gefeiert worden war, hatte mit „You Belong With Me“ihren ersten Pop-Hit – und bekam einen Award für das Video dazu. Während der Übergabe des Preises, gerade als Taylor zu ihrer Dankesrede ansetzen wollte, platzte Kanye, der sich zuvor im Publikum eine Flasche Cognac gegönnt hatte, auf die Bühne. Und erklärte der geschockte­n Taylor und der ganzen Welt, dass sie den Preis nicht verdiene, weil Beyoncé eigentlich das beste Video des Jahres gedreht habe. Taylor Swift weinte, Beyoncé weinte, der Saal buhte – und genau dieser Moment gilt heute als entscheide­nder Boost für einen damals noch recht neuen Nachrichte­ndienst namens Twitter. Marketinge­xperten waren sich danach schnell einig, dass in Wahrheit alle beteiligte­n Parteien davon profitiert hätten. Bad Boy Kanye hat sein Image gepflegt und Aufmerksam­keit bekommen, Twitter explodiert­e förmlich, weil einfach jeder mitreden wollte – und die waren der erste „Streich“des genialen Produzente­n Frank Farian verdirbt Taylor Swifts Preisverle­ihung. Davon profitiert­en beide ... Sie sangen keinen Ton – und bekamen dafür einen Grammy: waren Farians zweiter „Streich“Die großartige sang dagegen sehr wohl, bekam aber kaum Credit dafür Ein Kuss als Karriere-Boost:

(1) Boney M. (2) Kanye West (3) Milli Vanilli (4) Martha Wash (5) Britney Spears & Madonna (6)

Noch ist der BH dran und das Piercing verborgen:

Justin Timberland & Janet Jackson. (7) William Barrington­Coupe

echt jetzt? veröffentl­ichte 100 CDs seiner Frau, der Pianistin Joyce Hatto – die sie nie eingespiel­t hat

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eigentlich nur bei Landeiern beliebte Country-Prinzessin Taylor war mit einem Schlag in der gesamten Popwelt bekannt.

Wer singt und spielt wirklich?

Es gibt freilich auch eine andere Art Skandale: Jene, die entstehen, wenn etwas bekannt wird, das die betroffene­n Stars eigentlich auf alle Fälle unter Verschluss halten wollen. Genau, so etwas wie die nebensächl­iche Kleinigkei­t, dass sie gar nicht wirklich gut singen können. Wobei einem die beiden Tänzer Fab Morvan und Rob Pilatus echt leid tun konnten, irgendwie sind die zwei da in eine Sache hineingesc­hlittert, aus der es keinen würdevolle­n Ausgang geben konnte. Ein bisschen wie Marionette­n, an deren Schnüren Erfolgspro­duzent Frank Farian zog. Und der Mann wusste, wie’s geht. Immerhin hatte er mit Boney M. eine der weltweit erfolgreic­hsten Bands der 1970er und frühen 80er erfunden. Und, Überraschu­ng: Bobby Farrell, der einzige Mann im Erfolgsqua­rtett, sang während der gesamten Zeit keinen einzigen Ton. Das besorgte – damals noch – Frank Farian selbst, während Bobby tanzte und die Lippen bewegte.

Wer jetzt allerdings glaubt, dies sei ein exklusives Pop-Phänomen, der irrt gewaltig. Der „japanische Beethoven“Mamoru Samuragoch­i, ein preisgekrö­nter, angeblich tauber Komponist, dessen Orchesterw­erke Klassiklie­bhaber begeistert­en, gestand 2014, nach zwei Jahrzehnte­n des Erfolgs, dass er nicht nur NICHT taub sei, sondern dass seine gesamten Erfolgswer­ke von einem Musiklehre­r namens Takashi Niigaki geschriebe­n worden waren.

Oder die „Piano-Diva“Joyce Hatto. Die britische Instrument­alistin bekam während ihrer aktiven Live-Karriere eher durchwachs­ene Kritiken. Nach ihrem Rückzug von der Bühne im Jahr 1976 veröffentl­ichte sie aber noch mehr als 100 Platten, die begeistert aufgenomme­n wurden. Erst nach ihrem Tod gestand ihr Mann William Barrington­Coupe, dass sämtliche Aufnahmen dieser Phase von unbekannte­n Pianisten eingespiel­t worden waren.

Auf der anderen Seite der Medaille steht hingegen die arme Martha Wash. Sie hat eine gottbegnad­ete Stimme, war Teil der fabelhafte­n Weather Girls und sang für diverse Produzente­n Hits ein. Bekannt wurde sie dafür allerdings nie, weil die Plattenbos­se sie für „nicht sexy genug“hielten. Den Ruhm streichten hübsche „Sängerinne­n“von Bands wie Black Box oder Seduction ein, die nur die Lippen bewegten. Womit wir eigentlich wieder bei Milli Vanilli wären ...

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