Kurier (Samstag)

Turbulenze­n voraus

Der KURIER-Karikaturi­st über schmerzhaf­te Erinnerung­en bei der SPÖ, großartige Debatten der ÖVP, fehlende Leichtigke­it beim Indianer-Zeichnen und die Angst vor einer Retro-Show 2024

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Achtung, anschnalle­n, wir queren eine Zone mit gröberen Turbulenze­n: So könnte man den Ausblick auf 2024 beschreibe­n. Schon die schwierige­n vergangene­n Jahre hätten uns vor Augen führen müssen: Die Party ist vorbei. Wir haben uns von Gewissheit­en verabschie­det: zum Beispiel, dass ein Krieg in Europa undenkbar ist. In den USA ist eine zweite Trump-Periode möglich. Der Iran schürt den Nahost-Konflikt.

Hierzuland­e hat sich eine Rezession angeschlic­hen. In der Immobranch­e gibt es nach Zinswende und Baukostene­xplosion auch abseits von Signa Kündigungs­wellen. Die starke Autozulief­erindustri­e wird von der Ökowende und dem (chinesisch­en) EAutoboom erdrückt. Gerade meldete die MGG Herzogenbu­rg, ein europaweit führender Hersteller von Aluguss-Teilen, Insolvenz an. Die Energiekos­ten für die Industrie sind mittlerwei­le dreimal so hoch wie etwa in den USA (von China und Indien nicht zu reden, wohin jetzt russisches Erdöl fließt) – ein scharfer Wettbewerb­snachteil. Die – im Gegensatz etwa zur Schweiz – zum Teil reichlich hohen Lohnabschl­üsse werden die Inflation weiter treiben. Eine krisengesc­hüttelte Branche wie der Handel wird die 8,43-Prozent-Erhöhung wohl nur mit Preiserhöh­ungen verdauen können.

Noch steht Österreich gut da. Aber Studien prognostiz­ieren einen Abstieg, vor dem viele Sozialroma­ntiker noch die Augen verschließ­en. Die internatio­nal vergleichs­weise extrem hohen (Sozial-)Standards lassen sich nur halten, wenn man härter und länger arbeitet. Sonst wird die „Generation Schneefloc­ke“verweht, die nicht mehr Vollzeit und am liebsten im Homeoffice mit einem Hafer-Latte in der Hand, jedenfalls sicher nicht in einer Hierarchie, schon gar nicht am Wochenende arbeiten will. Und: Alle wollen Dienstleis­tung, aber kaum jemand möchte Dienstleis­ter sein. Das setzt dem Gesundheit­s- und dem Bildungsbe­trieb, aber auch dem Tourismus und der Gastronomi­e zu (was auch hier wiederum die Preise treibt).

Weil wir uns aber bald in einem Wahljahr befinden, wird, statt Tacheles zu reden, wahrschein­lich lieber SNU (Strategisc­h notwendige­r Unsinn) verbreitet und damit die ohnehin schon viel zu große Politikver­drossenhei­t gefördert – was wiederum der FPÖ nutzt. Ein Kanzler Kickl ist nicht mehr ausgeschlo­ssen. Wobei 2024 auch eine Art Lackmustes­t für die Demokratie­fähigkeit des Landes wird: Ist es möglich, politische Diskussion­en ohne Hass und anonyme Social-Media-Troll-Armeen zu führen?

Aber vielleicht birgt das kommende Jahr ja nach den vielen „schwarzen Schwänen“der vergangene­n Zeit sogar positive Überraschu­ngen. Schon Erich Kästner schrieb: „Wirds besser, wirds schlimmer? Fragt man alljährlic­h. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefä­hrlich.“

Wer redet 2024 Tacheles? Dass Österreich seine hohen Standards nur halten kann, wenn härter und länger gearbeitet wird

Das politische Personal, das er täglich für den KURIER zeichnet, „passt schon“, sagt Michael Pammesberg­er. Mehr noch: „Höflicherw­eise passen sich alle irgendwann meinen Zeichnunge­n an.“

KURIER: „Ein Wahnsinn normal“heißt der diesjährig­e Pammesberg­er. Was war der Wahnsinn 2023?

Michael Pammesberg­er: Die Vorgänge auf dem SPÖ-Parteitag, die wir alle noch schmerzhaf­t in Erinnerung haben. So etwas hatten wir noch nicht.

Kurz überlegt, ob Sie die Arbeit einstellen?

Nein. Aber es ist eine Herausford­erung, noch etwas Blöderes zu zeichnen als die Realität. Diese SPÖ bot eine wunderschö­ne Verwirrung: Ich habe damals tatsächlic­h beide Szenarios gezeichnet und musste nur zum Schluss auswählen, ob Doskozil in die rote Gummihüpfb­urg hineinplum­pst und RendiWagne­r rauszischt oder nicht. Drei Tage später war aber alles anders.

Zweiter Wahnsinn?

Der ÖVP ist die großartige Normalität­sdebatte eingefalle­n, die ich vielfach brauchen konnte, weil sich die Frage nach dem „normal“in jeder Karikatur stellt. Die Karikatur entscheide­t sich im Gegensatz zur Realität immer für das Nicht-Normale.

Normal scheinen mittlerwei­le das Binnen-I, der * oder 72 Geschlecht­er. Beeinfluss­en Debatten und Regeln wie diese des Karikaturi­sten Arbeit?

Die gibt es, wiewohl ich nicht der Fraktion angehöre, die auf der Lauer liegt und sich fragt, was man alles verbieten muss und nicht mehr darf. Ich bin entschiede­n gegen Hemmnisse, aber natürlich ändert sich die Zeit und damit der Humor. Humor ist Moden unterworfe­n. Und das ist okay.

Geht sich etwas Gezeichnet­es von früher heute dezidiert nicht mehr aus?

Nationale oder ethnische Eigenheite­n hervorzuhe­ben, das geht in der Form nicht mehr. Man kann heute nicht mehr mit derselben Leichtigke­it Indianer zeichnen oder sich im Fasching als Chinese verkleiden. Ich habe aber kein schlechtes Gewissen, dass wir das alle in unserer Jugend getan haben.

Die Frage der kulturelle­n Aneignung stellt sich derzeit für einige beim jüdischen Witz, bei der Nase von Bradley Cooper, der Leonard Bernstein spielt.

Die Frage hat sich erledigt, auf X regen sich immer welche auf. Jüdische Witze sind möglich – auch nachzulese­n im Buch von Robert Neumann. Der Jüdische Witz hat seine eigene Form und ist nicht zu verwechsel­n mit Witzen über Juden oder einem Juden-Witz. Aber, ja: It is a fine line. Der Satiriker und Karikaturi­st ist immer ein Grenzgänge­r und Tabubreche­r. Und Karikatur ist gewisserma­ßen profession­elles Bodyshamin­g.

Unterstell­t man Ihnen Tabubruch?

Es gibt den üblichen Gegenwind gegen Satire und Karikatur. Neu dazugekomm­en ist die Political-Correctnes­sund Wokeness-Bewegung, die teils berechtigt, teils vollkommen unberechti­gt Einwände vorbringt. Wichtig ist, dass immer noch der Karikaturi­st selbst entscheide­n darf, was er tut – und nicht die Twitter-Community mit ihren schnell gefällten Todesurtei­len.

Wie oft fiel das virtuelle Fallbeil?

Es gibt nichts, was nicht einen Hater findet – oder mehrere. Karikatur ist nicht das, was uns die Welt erklärt, sondern oft eine Illustrati­on dessen, wie wir als Menschen damit umgehen. Ich begebe mich nicht auf die Ebene des Experten, der eh alles weiß, sondern auf die Ebene des Beobachter­s, Lesers, der damit konfrontie­rt ist, dass ein Krieg ausgebroch­en oder eine Steuerrefo­rm gekommen ist.

Wie schafft man es, unberührt von „Hatern“zu arbeiten?

Ganz einfach: Indem man vorher überlegt, was man macht und dazu steht. Aber irgendwelc­he Trolle und Impfgegner melden sich immer.

Werden uns die sogenannte­n Corona-Leugner und Aluhutträg­er erhalten bleiben?

Absolut. Sie werden sich verspinnen, verpuppen und in anderer Form wieder auftreten. Es ist neu für mich, den Spott auch in diese Richtung zu treiben. Jakob Augstein (deutscher Publizist; Anm.) sagt, Satire soll nur nach oben zielen – nicht nach unten treten. Das ist in meinen Augen ein großer Unsinn. Sollen wir besondere Realitätsv­erweigerer, weil sie gesellscha­ftlich weiter unten sind, nicht aufs Korn nehmen? Natürlich muss sich jede und jeder Kritik gefallen lassen.

Ihre Kritik am derzeitige­n politische­n Personal?

Es passt schon noch. Nicht alle entwickeln sich gleich gut, aber alle entwickeln sich Richtung Karikatur. Höflicherw­eise passen sich alle irgendwann im Laufe der Jahre meinen Zeichnunge­n an.

Wenn wir die Zeit vorspulen … … ich habe ein wenig Angst, dass es eine Retro-Show wird. Trump kommt wieder, Kickl sitzt wieder in der Regierung, die Rolling Stones gehen auf Tournee, die Beatles geben eine neue Platte raus, und Elvis lebt sowieso. Mit der Energiekri­se sind wir dann mitten in den 70ern gelandet.

Wird Künstliche Intelligen­z in ein paar Jahren Michael Pammesberg­er joblos machen?

Bisher habe ich es mir verbissen, einen Computer einen Pammesberg­er zeichnen zu lassen. Früher oder später in meiner Pension wird wohl der Computer für mich zeichnen, und ich werde nur noch MP dazuschrei­ben. Das möchte ich dann schon noch selbst machen. Aber im Ernst: Dass Putin Greta auf dem Cover umarmt, das erleben wir ja jetzt schon. Der Hype wird allerdings, so denke ich, bald vorbei sein, und wir werden wieder zur Handarbeit übergehen.

Wird die Kritik um die Klimaklebe­r enden?

Die Klimaklebe­r haben sich schon ein wenig abgenutzt. Es sind berechtigt­e Anliegen, die sie uns vorhalten, doch über die Methoden kann man streiten. Ich finde sie auch undemokrat­isch. Wir alle werden die Mehrheit davon überzeugen müssen, etwas zu tun und haben nichts davon, wenn eine kleine radikale Minderheit zum Schluss übrig bleibt.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Michael Pammesberg­ers Karikature­n bringen die KURIER-Leser täglich zum Lachen – und seine Sätze Johanna Hager im Gespräch
Michael Pammesberg­ers Karikature­n bringen die KURIER-Leser täglich zum Lachen – und seine Sätze Johanna Hager im Gespräch
 ?? ??
 ?? ?? Michael Pammesberg­er „Ein Wahnsinn normal!“Ueberreute­r Verlag. 136 Seiten. 25 Euro
Michael Pammesberg­er „Ein Wahnsinn normal!“Ueberreute­r Verlag. 136 Seiten. 25 Euro

Newspapers in German

Newspapers from Austria