Turbulenzen voraus
Der KURIER-Karikaturist über schmerzhafte Erinnerungen bei der SPÖ, großartige Debatten der ÖVP, fehlende Leichtigkeit beim Indianer-Zeichnen und die Angst vor einer Retro-Show 2024
Achtung, anschnallen, wir queren eine Zone mit gröberen Turbulenzen: So könnte man den Ausblick auf 2024 beschreiben. Schon die schwierigen vergangenen Jahre hätten uns vor Augen führen müssen: Die Party ist vorbei. Wir haben uns von Gewissheiten verabschiedet: zum Beispiel, dass ein Krieg in Europa undenkbar ist. In den USA ist eine zweite Trump-Periode möglich. Der Iran schürt den Nahost-Konflikt.
Hierzulande hat sich eine Rezession angeschlichen. In der Immobranche gibt es nach Zinswende und Baukostenexplosion auch abseits von Signa Kündigungswellen. Die starke Autozulieferindustrie wird von der Ökowende und dem (chinesischen) EAutoboom erdrückt. Gerade meldete die MGG Herzogenburg, ein europaweit führender Hersteller von Aluguss-Teilen, Insolvenz an. Die Energiekosten für die Industrie sind mittlerweile dreimal so hoch wie etwa in den USA (von China und Indien nicht zu reden, wohin jetzt russisches Erdöl fließt) – ein scharfer Wettbewerbsnachteil. Die – im Gegensatz etwa zur Schweiz – zum Teil reichlich hohen Lohnabschlüsse werden die Inflation weiter treiben. Eine krisengeschüttelte Branche wie der Handel wird die 8,43-Prozent-Erhöhung wohl nur mit Preiserhöhungen verdauen können.
Noch steht Österreich gut da. Aber Studien prognostizieren einen Abstieg, vor dem viele Sozialromantiker noch die Augen verschließen. Die international vergleichsweise extrem hohen (Sozial-)Standards lassen sich nur halten, wenn man härter und länger arbeitet. Sonst wird die „Generation Schneeflocke“verweht, die nicht mehr Vollzeit und am liebsten im Homeoffice mit einem Hafer-Latte in der Hand, jedenfalls sicher nicht in einer Hierarchie, schon gar nicht am Wochenende arbeiten will. Und: Alle wollen Dienstleistung, aber kaum jemand möchte Dienstleister sein. Das setzt dem Gesundheits- und dem Bildungsbetrieb, aber auch dem Tourismus und der Gastronomie zu (was auch hier wiederum die Preise treibt).
Weil wir uns aber bald in einem Wahljahr befinden, wird, statt Tacheles zu reden, wahrscheinlich lieber SNU (Strategisch notwendiger Unsinn) verbreitet und damit die ohnehin schon viel zu große Politikverdrossenheit gefördert – was wiederum der FPÖ nutzt. Ein Kanzler Kickl ist nicht mehr ausgeschlossen. Wobei 2024 auch eine Art Lackmustest für die Demokratiefähigkeit des Landes wird: Ist es möglich, politische Diskussionen ohne Hass und anonyme Social-Media-Troll-Armeen zu führen?
Aber vielleicht birgt das kommende Jahr ja nach den vielen „schwarzen Schwänen“der vergangenen Zeit sogar positive Überraschungen. Schon Erich Kästner schrieb: „Wirds besser, wirds schlimmer? Fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich.“
Wer redet 2024 Tacheles? Dass Österreich seine hohen Standards nur halten kann, wenn härter und länger gearbeitet wird
Das politische Personal, das er täglich für den KURIER zeichnet, „passt schon“, sagt Michael Pammesberger. Mehr noch: „Höflicherweise passen sich alle irgendwann meinen Zeichnungen an.“
KURIER: „Ein Wahnsinn normal“heißt der diesjährige Pammesberger. Was war der Wahnsinn 2023?
Michael Pammesberger: Die Vorgänge auf dem SPÖ-Parteitag, die wir alle noch schmerzhaft in Erinnerung haben. So etwas hatten wir noch nicht.
Kurz überlegt, ob Sie die Arbeit einstellen?
Nein. Aber es ist eine Herausforderung, noch etwas Blöderes zu zeichnen als die Realität. Diese SPÖ bot eine wunderschöne Verwirrung: Ich habe damals tatsächlich beide Szenarios gezeichnet und musste nur zum Schluss auswählen, ob Doskozil in die rote Gummihüpfburg hineinplumpst und RendiWagner rauszischt oder nicht. Drei Tage später war aber alles anders.
Zweiter Wahnsinn?
Der ÖVP ist die großartige Normalitätsdebatte eingefallen, die ich vielfach brauchen konnte, weil sich die Frage nach dem „normal“in jeder Karikatur stellt. Die Karikatur entscheidet sich im Gegensatz zur Realität immer für das Nicht-Normale.
Normal scheinen mittlerweile das Binnen-I, der * oder 72 Geschlechter. Beeinflussen Debatten und Regeln wie diese des Karikaturisten Arbeit?
Die gibt es, wiewohl ich nicht der Fraktion angehöre, die auf der Lauer liegt und sich fragt, was man alles verbieten muss und nicht mehr darf. Ich bin entschieden gegen Hemmnisse, aber natürlich ändert sich die Zeit und damit der Humor. Humor ist Moden unterworfen. Und das ist okay.
Geht sich etwas Gezeichnetes von früher heute dezidiert nicht mehr aus?
Nationale oder ethnische Eigenheiten hervorzuheben, das geht in der Form nicht mehr. Man kann heute nicht mehr mit derselben Leichtigkeit Indianer zeichnen oder sich im Fasching als Chinese verkleiden. Ich habe aber kein schlechtes Gewissen, dass wir das alle in unserer Jugend getan haben.
Die Frage der kulturellen Aneignung stellt sich derzeit für einige beim jüdischen Witz, bei der Nase von Bradley Cooper, der Leonard Bernstein spielt.
Die Frage hat sich erledigt, auf X regen sich immer welche auf. Jüdische Witze sind möglich – auch nachzulesen im Buch von Robert Neumann. Der Jüdische Witz hat seine eigene Form und ist nicht zu verwechseln mit Witzen über Juden oder einem Juden-Witz. Aber, ja: It is a fine line. Der Satiriker und Karikaturist ist immer ein Grenzgänger und Tabubrecher. Und Karikatur ist gewissermaßen professionelles Bodyshaming.
Unterstellt man Ihnen Tabubruch?
Es gibt den üblichen Gegenwind gegen Satire und Karikatur. Neu dazugekommen ist die Political-Correctnessund Wokeness-Bewegung, die teils berechtigt, teils vollkommen unberechtigt Einwände vorbringt. Wichtig ist, dass immer noch der Karikaturist selbst entscheiden darf, was er tut – und nicht die Twitter-Community mit ihren schnell gefällten Todesurteilen.
Wie oft fiel das virtuelle Fallbeil?
Es gibt nichts, was nicht einen Hater findet – oder mehrere. Karikatur ist nicht das, was uns die Welt erklärt, sondern oft eine Illustration dessen, wie wir als Menschen damit umgehen. Ich begebe mich nicht auf die Ebene des Experten, der eh alles weiß, sondern auf die Ebene des Beobachters, Lesers, der damit konfrontiert ist, dass ein Krieg ausgebrochen oder eine Steuerreform gekommen ist.
Wie schafft man es, unberührt von „Hatern“zu arbeiten?
Ganz einfach: Indem man vorher überlegt, was man macht und dazu steht. Aber irgendwelche Trolle und Impfgegner melden sich immer.
Werden uns die sogenannten Corona-Leugner und Aluhutträger erhalten bleiben?
Absolut. Sie werden sich verspinnen, verpuppen und in anderer Form wieder auftreten. Es ist neu für mich, den Spott auch in diese Richtung zu treiben. Jakob Augstein (deutscher Publizist; Anm.) sagt, Satire soll nur nach oben zielen – nicht nach unten treten. Das ist in meinen Augen ein großer Unsinn. Sollen wir besondere Realitätsverweigerer, weil sie gesellschaftlich weiter unten sind, nicht aufs Korn nehmen? Natürlich muss sich jede und jeder Kritik gefallen lassen.
Ihre Kritik am derzeitigen politischen Personal?
Es passt schon noch. Nicht alle entwickeln sich gleich gut, aber alle entwickeln sich Richtung Karikatur. Höflicherweise passen sich alle irgendwann im Laufe der Jahre meinen Zeichnungen an.
Wenn wir die Zeit vorspulen … … ich habe ein wenig Angst, dass es eine Retro-Show wird. Trump kommt wieder, Kickl sitzt wieder in der Regierung, die Rolling Stones gehen auf Tournee, die Beatles geben eine neue Platte raus, und Elvis lebt sowieso. Mit der Energiekrise sind wir dann mitten in den 70ern gelandet.
Wird Künstliche Intelligenz in ein paar Jahren Michael Pammesberger joblos machen?
Bisher habe ich es mir verbissen, einen Computer einen Pammesberger zeichnen zu lassen. Früher oder später in meiner Pension wird wohl der Computer für mich zeichnen, und ich werde nur noch MP dazuschreiben. Das möchte ich dann schon noch selbst machen. Aber im Ernst: Dass Putin Greta auf dem Cover umarmt, das erleben wir ja jetzt schon. Der Hype wird allerdings, so denke ich, bald vorbei sein, und wir werden wieder zur Handarbeit übergehen.
Wird die Kritik um die Klimakleber enden?
Die Klimakleber haben sich schon ein wenig abgenutzt. Es sind berechtigte Anliegen, die sie uns vorhalten, doch über die Methoden kann man streiten. Ich finde sie auch undemokratisch. Wir alle werden die Mehrheit davon überzeugen müssen, etwas zu tun und haben nichts davon, wenn eine kleine radikale Minderheit zum Schluss übrig bleibt.