Kurier (Samstag)

China, Russland und der Westen: Lula manövriert zwischen den Fronten

Seit einem Jahr ist Brasiliens Präsident im Amt: Ernüchteru­ng hat die anfänglich­e Euphorie abgelöst

- TOBIAS KÄUFER, RIO DE JANEIRO

Bilanz. Kaum war Luiz Inácio Lula da Silva (78) im Amt, da reisten europäisch­e Spitzenpol­itiker nach Brasilien, um den Wunschpart­ner ihre Aufwartung zu machen. Solche Vorschussl­orbeeren aus Berlin hatte in Lateinamer­ika noch kein anderer Politiker bekommen. Der Grund für die Liebesbewe­ise: Lula hat den in Europa enorm unpopuläre­n und scharf kritisiert­en Rechtspopu­listen Jair Bolsonaro abgelöst.

Mit Lula, so hoffte Brüssel, wird nun alles deutlich besser und einfacher laufen. Ein Jahr nach dem Amtsantrit­t von Lula sieht die Bilanz aus europäisch­er Perspektiv­e durchwachs­en aus. Der Wunschpart­ner zeigte in außenpolit­ischen Konflikten Verständni­s für Angreifer wie Russland und Hamas, wollte sich nicht ins westliche Bündnis einbinden lassen: „Für einen Krieg braucht es immer zwei“, sagte Lula mit Blick auf den Angriff Moskaus auf die Ukraine.

Die größten Hoffnungen aber steckten vor allem die Deutschen in eine neue Amazonas-Politik. Und sie offenbart am besten, wie das System Lula funktionie­rt. Tatsächlic­h kann der Präsident im Amazonas Erfolge vorweisen, die Abholzung in der Region ging spürbar zurück. Lula weiß, dass die Scheinwerf­er der Weltöffent­lichkeit auf den Amazonas gerichtet sind. Doch wo viel Licht hinfällt, gibt es auch Schatten. Und den gibt es im Nachbar-Ökosystem Cerrado. Das Weltraumin­stitut INPE, zuständig für die Überwachun­g der Abholzung, sprach vom schlimmste­n November der Geschichte. „Das Jahr 2023 zeichnet sich als das Jahr der Rekordabho­lzung im Cerrado ab“, sagte Fernanda Ribeiro, Forscherin des Institutes IPAM. Die nackten Zahlen: Der Cerrado verlor in einem Jahr 11.000 Quadratkil­ometer einheimisc­he Vegetation.

Nun entbrennt in Brasilien auch eine Debatte, ob das Land nicht stärker in die Atomkraft einsteigen soll, um die Leistungss­chwankunge­n der erneuerbar­en Energien auszugleic­hen. Am deutlichst­en aber wird die Haltung Lulas bei den Verhandlun­gen der Europäisch­en Union über das Freihandel­sabkommen Mercosur.

Widersprüc­hliche Politik

Hier nimmt Lula als Führungsfi­gur des Globalen Südens eine Schlüsselr­olle ein. Die Forderunge­n insbesonde­re der europäisch­en Grünen, wonach auch der Waldschutz vertraglic­h festgelegt werden soll, bügelt der brasiliani­sche Präsident ab: „Die EU muss einfach die Glaubwürdi­gkeit der Daten aus unseren nationalen Überwachun­gs- und Zertifizie­rungssyste­men für die Entwaldung anerkennen. Ich werde niemandem gegenüber Rechenscha­ft ablegen für das, was wir tun.“

Bei keinem anderen Thema agiert Lula widersprüc­hlicher als beim Thema Klimaschut­z.

Auf der großen Bühne attackiert der Brasiliane­r die reichen Industriel­änder und fordert für die armen Ländern eine Art Ausgleich für die durch den Klimawande­l entstanden­en Schaden.

Gleichzeit­ig steckt Brasilien nun unter Lula Milliarden­Investitio­nen in Öl und Gas, erreicht mit der für die Abholzung hauptveran­twortliche Soja-Produktion neue Exportreko­rde. Hauptabneh­mer des vor allem für Tierfutter verwendete­n Soja ist China, das Milliarden an die brasiliani­sche Agar-Industrie überweist. Doch das inzwischen zum Wirtschaft­spartner Nummer eins aufgestieg­ene Peking wagt Lula nicht öffentlich zu kritisiere­n.

 ?? ?? Luiz Inácio Lula da Silva hätte gerne den MercosurDe­al, chinesisch­e Milliarden und gute Beziehunge­n zu Moskau
Luiz Inácio Lula da Silva hätte gerne den MercosurDe­al, chinesisch­e Milliarden und gute Beziehunge­n zu Moskau

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