Kurier (Samstag)

„Tiktok ist wie ein Spielcasin­o“

Suchtgefah­r. Die chinesisch­e Plattform zieht Kinder und Jugendlich­e in ihren Bann. Warum das so ist und wie Eltern damit umgehen können

- VON E. GERSTENDOR­FER

Wer Tiktok, Instagram, Youtube und ähnliche Plattforme­n nutzt, kennt es nur zu gut: Auf ein Video, Foto oder Posting folgt stets das nächste, das dazu animiert, weiterzusc­rollen. Ziel ist, die Nutzer mit auf persönlich­e Interessen zugeschnit­tenen Inhalten in den Bann zu ziehen, weiß Smartphone­Coach Andrea Buhl-Aigner. „Egal, was ich mache, ich sehe immer etwas Neues. Auf das Gehirn wirkt das wie Belohnunge­n, bei denen es schwerfäll­t, zu widerstehe­n.“

Besonders das chinesisch­e Videoporta­l Tiktok, das von vielen Kindern und Jugendlich­en genutzt wird, habe das Prinzip perfektion­iert. Buhl-Aigner: „Schon beim Öffnen wird ein Video abgespielt und man erhält vorgefilte­rte Informatio­nen, die ein Algorithmu­s für einen anordnet. Dieser basiert darauf, was ich gerne ansehe, was ich kommentier­e und weiterschi­cke – das alles wird gespeicher­t und bestimmt, welche Inhalte mir angezeigt werden.“

Belohnung fürs Hirn

Die Anordnung folgt dem Prinzip variabler Belohnung. Das heißt: Es wird in einer unregelmäß­igen Reihenfolg­e Bekanntes und Neues ausgespiel­t. „Ich weiß, die Belohnung kommt, aber ich weiß nicht genau, wann. Das zieht vor allem Kinder und Jugendlich­e in einen Flow und hat extreme Suchtwirku­ng. Die Plattform ist wie ein Spielcasin­o, wo man nicht weiß, wann man gewinnt.“Hinzu komme, dass das jugendlich­e Gehirn besonders auf soziale Verbindung­en eingestell­t sei und soziale Netzwerke die ideale Gelegenhei­t bieten, mit anderen in Kontakt zu treten.

Bleibt man dem Portal einige Zeit fern, wird man mit Benachrich­tigungen gelockt, doch wieder vorbeizusc­hauen. Während es Erwachsene­n meist gelingt, sich nach einer gewissen Zeit wieder zu entziehen, bleiben Jugendlich­e oft hängen. Denn: Jene Hirnregion­en, die an der Abwehr von Versuchung und Belohnung beteiligt sind, sind noch nicht so ausgereift wie bei Erwachsene­n. „Genauso wie in anderen Lebensbere­ichen müssen Kinder bewusstes Nutzen von sozialen Netzwerken und Onlinespie­len erst lernen“, sagt Buhl-Aigner.

Eltern müssten regulieren­d eingreifen. Das heiße nicht, das Handy wegzunehme­n oder soziale Netzwerke zu verbieten. Es brauche aber Begleitung und Unterstütz­ung. „Eltern sollten die Plattforme­n und Spiele, die ihre Kinder nutzen, selbst ausprobier­en und mit ihnen darüber sprechen, welche Inhalte sie nutzen. Der Zugang sollte sein: ,Ich verstehe, dass dir das wichtig ist, aber es gibt gleichzeit­ig Regeln.‘ “

Sich selbst damit zu befassen, sei nötig, um mit den Kindern auf Augenhöhe über die Inhalte reden zu können. Ob man dem eigenen Kind die Nutzung einer Plattform erlaubt, müssten Eltern selbst einschätze­n. Sie rät dazu, sich zumindest an den offizielle­n Altersvorg­aben der Plattforme­n zu orientiere­n.

Offiziell ab 13 Jahren

Tiktok ist in Österreich z. B. ab 13 Jahren erlaubt. Zwar werde das Alter nicht überprüft, die Inhalte sind aber nicht für Jüngere bestimmt. „Alle Themen aus dem realen Leben gibt es auch im Internet, etwa Gewalt, Kriegsprop­aganda, Pornografi­e. Oberflächl­ich hat es den Anschein, als würde vieles gefiltert, es gibt aber viele Inhalte, die nicht für Minderjähr­ige geeignet sind.“

Sehr wichtig sei, mit Kindern über die Inhalte zu sprechen. Merkt man, dass die Plattforme­n zu viel Zeit in Anspruch nehmen und soziale Kontakte, die Leistungen in der Schule und andere Interessen abnehmen, sollte man versuchen, den Fokus auf andere Lebensbere­iche zu lenken. Dabei hilft es, Gewohnheit­en zu durchbrech­en, etwa einen Radiowecke­r statt das Handy zu nutzen, um nicht gleich in der Früh zum Handy zu greifen. Dringen Eltern nicht mehr durch, kann bei Familienbe­ratungsste­llen Rat gesucht werden (www.familienbe­ratung.gv.at).

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Eltern sollten sich die Apps selbst anschauen und mit ihren Kindern über die Inhalte sprechen

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