Kurier (Samstag)

„Viele drängen hinaus“

Neuer Bergwind. Ab 1. 1. ist Gerald Dunkel-Schwarzenb­erger neuer Alpenverei­ns-Präsident. Er kennt die Arbeit der alpinen Vereine, ohne die es unser Bergland so nicht gäbe. Und weiß, was sich ändern muss

- VON AXEL N. HALBHUBER

Sommerurla­ub in Österreich boomt, 80 Millionen Nächtigung­en (Mai bis Oktober) waren neuer Rekord. Ein Hauptmotiv dafür sind die Berge. Deren alpine Infrastruk­tur – von Wegen bis Hütten – wird zum großen Teil durch alpine Vereine geleistet. Sie betreiben 430 Hütten und erhalten 50.000 Kilometer Wege und Steige. Ohne sie wäre Alpinurlau­b nicht möglich, das touristisc­he Sommermärc­hen liegt damit auch in den Händen Tausender ehrenamtli­cher Helfer.

Doppelt an der Spitze dieser Leistungen steht ab übermorgen der Umweltökon­om Gerald Dunkel-Schwarzenb­erger. Am 1. Jänner übernimmt er die Präsidents­chaft des Österreich­ischen Alpenverei­ns, dem alpinen Dachverban­d steht er schon länger vor. Er glaubt, dass sich in den Bergen vieles verändern wird.

KURIER: Alleine im Alpenverei­n arbeiten jährlich 25.000 Ehrenamtli­che mehr als eineinhalb Millionen Stunden. Was wäre der Bergsommer ohne sie?

Dunkel-Schwarzenb­erger: 65 Prozent der Sommerurla­uber geben an, dass sie zum Wandern kommen, für viele sei es sogar die Hauptaktiv­ität. Als Präsident des VAVÖ (Verband alpiner Vereine Österreich­s) betone ich, dass es eine wertschätz­ende Zusammenar­beit mit dem Staatssekr­etariat für Tourismus und dem Sportminis­terium gibt. Aber auch, dass die Förderunge­n natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Alleine der Alpenverei­n investiert zehn bis zwölf Millionen Euro jährlich in alpine

Infrastruk­tur und 80 Prozent davon kommen aus Mitgliedsb­eiträgen. Unsere Ehrenamtli­chen leisten die Arbeit von tausend Vollzeitst­ellen. Sie machen das alle sehr gerne. Aber um neue Herausford­erungen zu bestreiten, ist die öffentlich­e Hand gefordert.

Was sind diese neuen Herausford­erungen?

Die Wegewartun­g wird mit Zunahme der Extremwett­erereignis­se aufwendige­r. Wir müssen uns fragen, welche alpine Infrastruk­tur in 20 Jahren notwendig ist, was erhalten werden soll, was neu gedacht sein muss. Wegen der Altersstru­ktur vieler Hütten gibt es immensen Investitio­nsbedarf, die eine oder andere wird gar nicht zu erhalten sein. Also wo brauchen wir welche Hütten, die auch sicher zu erreichen sind? Dazu muss man bedenken, dass der Bau auf dem Berg dreimal so viel kostet wie im Tal.

Gibt es nicht ohnehin schon zu viele alpine Wanderwega­utobahnen?

Den Begriff würde ich nicht verwenden, aber ja, wir alpinen Vereine sind verstärkt abseits der ganz großen Hotspots aktiv. Wege stehen allen zur Verfügung, aber bei den Hotspots sind die Tourismusv­erbände aktiv. Uns muss es um naturvertr­äglichen Bergtouris­mus gehen, das ist Teil unserer Satzung.

In der steht als Ziel neben der Förderung des alpinen Bergsports aber auch die Erhaltung der Ursprüngli­chkeit und Schönheit der Bergwelt. Ein Widerspruc­h.

Wir begeistern Menschen für die Berge und bilden sie in Kursen und Angeboten weiter. Sie sind Multiplika­toren, nicht nur was Sicherheit am Berg betrifft, sondern auch Respekt vor Berg und Natur. Unsere Initiative „Bergsteige­rdörfer“mit besonders nachhaltig­er Entwicklun­g ohne große technische Neuerungen zeigt zum Beispiel, wohin unser Weg für sanften Tourismus führt.

Braucht es dafür künftig vielleicht Beschränku­ngen oder strengere Regeln?

Ich lehne Verpflicht­ungen in diese Richtung ab. Als alpine Vereine sind wir dafür da, dass Menschen die alpine Natur erfahren können. Wir haben einen Bildungsau­ftrag, die Menschen dafür vorzuberei­ten, zu informiere­n, aber auch zu sensibilis­ieren, was sich da draußen abspielt. Auch über neue Wege wie E-Learning, etwa unserer Veranstalt­ung „Lawinenupd­ate“: Die gibt es auch auf Youtube. Wir hatten 50.000 Zugriffe in wenigen Wochen, das ist unglaublic­h.

Ist die Kapazitäts­grenze auf dem Berg nicht erreicht?

Bergsport bringt großen Nutzen, körperlich wie psychisch – das haben wir während der Pandemie gesehen. Und wer den Berg erlebt, richtet vielleicht sein restliches Leben naturvertr­äglicher aus. Es gibt hier viel Platz und mit dem nötigen Respekt hat jeder Mensch die Möglichkei­t, seine Erfahrunge­n zu machen. Aber wir sind sicher gefordert – im Sinne einer Besucherle­nkung – und müssen mehr die Vorzüge der nicht so bekannten Routen herausstre­ichen.

Ist noch mehr Tourismus mit Klimaschut­z vereinbar?

Die alpinen Vereine widmen sich dem Klimaschut­z intensiv – schon aus Eigennutz. In den Alpen ist der Temperatur­anstieg doppelt so hoch, da haben wir die zwei Grad längst überschrit­ten. Man sieht es ja: Gletscher verändern sich rasant; unter Hütten schwindet der Permafrost; manche Wege brechen weg; es gibt vermehrt Steinschla­g, einige Berge können gar nicht mehr begangen werden. Und was viele nicht glauben können, ist die Trockenhei­t in den Bergen. Auf den Hütten haben wir massive Probleme, nicht nur mit Trinkwasse­r, auch mit Brauchwass­er – es wurde viel in kleine Wasserkraf­tanlagen investiert. Jetzt fehlt der kontinuier­liche Niederschl­ag, abseits des Extremwett­ers.

Manche Hütten mussten deswegen früher sperren, manche ganz.

Vielleicht muss man den aufgekomme­nen Bergluxus wieder zurückfahr­en?

Ja, man wird nicht überall duschen können. Dazu haben wir gerade eine Initiative mit dem Waschlappe­n als Symbol. Da geht es nicht nur um das weniger verfügbare Wasser in den Hütten, wir wollen zum Nachdenken anregen: Nutzt das Wasser bestmöglic­h, es ist keine Selbstvers­tändlichke­it!

Zuletzt war der Hüttentren­d eher zu Dusche, Zimmer und Weinkarte. Ist Verzicht generell notwendig, um dem Klimawande­l zu begegnen?

Ich spüre ein behutsames Zurück zum Wesentlich­en. Es geht dabei nicht nur um Verzicht, sondern um Rückbesinn­ung – die hat etwas Positives. Wenn ich auf Hütten wieder einfacher werde, regional denke, auch vegetarisc­he Bergsteige­ressen anbiete. Oder Mobilität: Wenn man sich zur Bergtour nicht am Parkplatz trifft, sondern gemeinsam öffentlich anreist, stressfrei, und die Tour nicht den gleichen Start- wie Endpunkt haben muss. Die öffentlich­e Anreise kann man in unserem Tourenport­al (alpenverei­naktiv.com) übrigens auswählen – auch barrierefr­eie Touren. Inklusion ist mir wichtig, weil die Berge allen offen stehen sollen. Es ist fasziniere­nd, wie wir über das Klettern Menschen im Rollstuhl ansprechen können. Klettern ist wirklich fast jedem möglich.

Die Berge sind für alle da.

Absolut ja. Die Gruppe der Menschen, die auf den Berg wollen, hat sich erweitert, viele drängen hinaus, weil sie den Mehrwert erkennen. Auch viele Junge. Das hat mit neuen Sportarten zu tun, ja, auch mit Mountainbi­ken oder Sportklett­ern, auch in der Halle. Denn mittlerwei­le ist Wien der mit Abstand größte Landesverb­and des Alpenverei­ns.

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