Kurier (Samstag)

Abseits des goldenen Krauthappe­ls

Die Wiener Secession, das älteste unabhängig­e Ausstellun­gshaus zeitgenöss­ischer Kunst, ist weltberühm­t – andere Werke des Architekte­n in Wien und Umgebung sind hingegen kaum bekannt

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Jugendstil im Exzess in der Hinterbrüh­l, wer hätte das gedacht? Joseph Maria Olbrich (1867–1908) schrieb Architektu­rgeschicht­e mit seinem Secessions­gebäude, von den Wienern wegen seiner Kuppel aus Lorbeerran­ken „goldenes Krauthappe­l“genannt.

Für den Industriel­len Max Friedmann gestaltete er 1898 eine mit floraler Ornamentik üppig ausgestatt­ete Sommervill­a, wo Opernlegen­de Leo Slezak einst zu Gast war. Sie diente später als „Schlosspen­sion zu bürgerlich­en Preisen“, so Der Wiener Tag 1934, und im Krieg als russische Kommandant­ur.

Das Gebäude hat sich – bereits vom Abriss bedroht – dank eines umsichtige­n Besitzers erhalten: Der Tierarzt Erich Kotzab rekonstrui­erte liebevoll das Haus mit Birkenwäld­ern als Wandtapete­n, imposanter Fassade, Garten, Teich und Teehaus nach Originalvo­rlagen bis ins Detail der fantasievo­llen Interieurs.

Aus der in alle Winde zerstreute­n Möblierung erzielte ein Nussbaumse­ssel für die Villa Friedmann bei einer Auktion von Christie’s New York einen Erlös von 30.000 $. Jugendstil in St. Pölten

Als das Landhaus in der Hinterbrüh­l fast fertig war, realisiert­e Olbrich 1899 ein weiteres Baudenkmal in Niederöste­rreich: das Wohnhaus in St. Pölten, Kremser Gasse 41, für den Primararzt Hermann Stöhr, Bruder des Secessioni­sten Ernst Stöhr. Er entwarf das „Medizin“-Relief auf der Fassade des schönsten JuVeritas“ gendstilge­bäudes der Stadt mit einer Frauenfigu­r, die eine Äskulapnat­ter füttert.

An der Grenze Ober-St. Veits zum Lainzer Tiergarten am oberen Ende der Veitlissen­gasse „in einspänner­widriger Steilheit“, so Karl Kraus in Die Fackel, ließ sich der Dramatiker und Kritiker Hermann Bahr von seinem Freund Olbrich 1900 eine Villa bauen.

„Durchaus nicht verrückt sezessioni­stisch, sondern wie ein gutes österreich­isches Bauern- oder Landhaus mit steilem Satteldach. Freilich manche Finessen schon an der Fassade, und drinnen ganz modern eingericht­et“, so Das Neue Wiener Tagblatt. Bahrs Heim mit Klimts Bild „Nuda (heute Theatermus­eum) im Arbeitszim­mer war Treffpunkt für Künstler wie Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsth­al, Richard BeerHofman­n, Gustav Klimt, Otto Wagner, weiters – nach der 1909 geschlosse­nen zweiten Ehe Bahrs mit der Hofopernsä­ngerin und Richard-Wagner-Interpreti­n Anna von Mildenburg – Richard Strauss und Gustav Mahler.

Bahr: „Es gibt eine große Zahl von Wienern, die am Sonntag mit der Stadtbahn nach St. Veit hinausfahr­en und die keine Ahnung haben, dass dort meine Villa steht. Von Olbrich hab’ ich mir sie bauen lassen, weil mir das ewige Zinszahlen zu dumm war. Und die Wiener wissen nichts davon; da muss man es ihnen eben sagen. Wenn es ihnen auch unangenehm ist. Denn es geht einfach nicht, dass man bloß zum Kegelschie­ben und zum Heurigen aufs Land fährt und eine der bedeutends­ten Kulturstät­ten links liegen lässt.“ Rübezahl der Literatur

Bahr übersiedel­te 1912 mit der Innenausst­attung nach Salzburg. Die weiterverk­aufte Villa wurde 1914 und 1955 adaptiert und stark verändert. „Es tut mir das Herz weh, wenn ich dran denke, dass diesen auf den Mann zugeschnit­tenen Anzug jetzt ein andrer trägt! Das Haus gehört zur Schnecke“, schrieb der Kunstkriti­ker Ludwig W. Abels. „Der Bauer und der Aristokrat fühlen das. Aber das Großstadtl­eben macht die Menschen zu Schlangen, die ihre Haut irgendwo am Wege liegen lassen!“

Die Wiener Allgemeine

Zeitung erinnerte sich noch 1933 „in heiterer Ehrfurcht mancher Gespräche auf dem Ober-St. Veiter Hügelhang, wo Bahrs Olbrich-Villa stand und das große, leuchtende Glasauge ihres Riesenfens­ters auf das dämmernde Wien richtete. Vor den dichten Büchermaue­rn im damals fast allzu herausford­ernd apartem japanische­n Kimono saß der Rübezahl der Wiener Literatur.“

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