Kurier (Samstag)

welt FABELHAFTE

- Vea Kaiser

Sderisypho­s war einer der größten Strizzis

Antike. Die Strafe dafür erwartete ihn in der Unterwelt, wo er tagein tagaus einen riesigen Stein auf einen Berg hieven musste, der, kaum oben angekommen, nach unten rollte. Sisyphos begegnete mir im Griechisch-Studium oft, doch intensiv denke ich erst an ihn, seit meines Sohnes Spielzeug im Wohnzimmer residiert und ich es jeden Abend aufräumen muss. Ich kletzle Holzklötze aus Sofaritzen, Autos aus Regalen, genieße eine halbe Stunde lang den Triumph der Ordnung über das Chaos, ehe ich ins Bett falle und der Junior frühmorgen­s die Verwüstung wiederaufn­immt.

Besonders an jenen Tagen, an denen die Spielzeugk­iste ausgeleert wird, noch ehe ich meinen ersten Kaffee hatte, frage ich mich: Wie frevelte ich gegen die Götter, dass ich nun allabendli­ch auf allen vieren Legosteine jagen muss, die sich ausbreiten, als wären sie eine invasive, auf Eroberung des neuen Lebensraum­es ausgericht­ete

Spezies? Allerdings kenne ich diesen Gedanken schon vom Schreiben.

Meine Romane entstehen nie, indem ich Seite für Seite verfasse, sondern ein Manuskript anfertige, das ich irgendwann lösche, um später alles leicht verändert wieder abzutippen. Man könnte meinen, es bereite mir Vergnügen, Steine auf Berge zu rollen. Nein! Aber der Text wird bei jedem NeuSchreib­en besser. Und Bambino spielt kreativer und leidenscha­ftlicher mit seinen Spielsache­n, wenn er sie nicht dort findet, wo er sie am Vortag hinterließ, sondern jeden Morgen entscheide­n muss, was er zuerst herumschle­udert. Vielleicht liegt der viel zitierte Zauber des Neuen nicht nur darin, sich mit etwas Neuem zu beschäftig­en – sondern einen neuen Anfang mit dem Altbekannt­en zu wagen. Eine kleine Zäsur einzuziehe­n, ehe man genau dort weitermach­t, wo man aufgehört hat. In diesem Sinne: Frohes neues Jahr, auch wenn alles beim Alten bleibt. vea.kaiser@kurier.at

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