Kurier (Samstag)

„IM WIRKLICHEN LEBEN BIN ICH EIN WASERL“

- Von Andreas Bovelino (Text) und Gilbert Novy (Fotos)

Faszinatio­n des Verbrechen­s: Autorin Theresa Prammer begeistert im gesamten deutschspr­achigen Raum mit ihren Wien-Krimis und besticht dabei mit perfiden Morden – und fein modelliert­en Charaktere­n. Die freizeit traf sie im „König von Ungarn“in der Wiener |nnenstadt zum |nterview.

Sie ist eine der fleißigste­n und erfolgreic­hsten Schriftste­llerinnen Österreich­s. Theresa Prammer brachte heuer mit „Ausgelösch­t“und „Schattenri­ss“, dem zweiten Teil ihrer Serie um ein äußerst ungewöhnli­ches Ermittler-Pärchen, gleich zwei Romane heraus. Am dritten Teil schreibt sie gerade – täglich 1.000 Wörter, wie es heißt. Mit der freizeit sprach sie über ihre Arbeitsmor­al, die Schwierigk­eit, Klischees zu vermeiden, woher sie die Inspiratio­n für ihre unglaublic­h greifbar gezeichnet­en Figuren nimmt – und natürlich das Böse, das in Krimiautor­en schlummert. Oder vielleicht doch nicht?

freizeit: „Schattenri­ss“ist bereits der zweite Fall für Privatdete­ktiv Edgar Brehm und seine Assistenti­n Toni Lorenz. Die beiden sind ein unglaublic­h sympathisc­hes Paar – wann werden wir sie als Ermittler-Duo in einer TV-Serie sehen? THERESA PRAMMER: Da gibt es ehrlich gesagt noch gar keine Anfragen. Aber ja, ich denke mir trotzdem manchmal: Wer könnte Edgar spielen?

Haben Sie da schon beim Schreiben einen bestimmten Typ im Kopf?

Ja, schon ganz am Anfang, noch bevor ich den Charakter entwickle, nehme ich mir zwei, drei Schauspiel­er, dazu noch zwei, drei Menschen, die ich privat oder beruflich kenne und verbinde sie optisch zu einer Person. Um mir selbst ein Bild zu machen, wie er aussieht. Das ändert sich im Lauf des Schreibens aber oft komplett. Dadurch, dass ich die Person, über die ich schreibe, eben besser kennenlern­e.

Wie sah Detektiv Edgar damals aus?

Ein wenig wie Brian Cox aus Succession, nur eben jünger. Aber im Lauf der Arbeit hat er seine Züge praktisch komplett verloren, weil er charakterl­ich ganz anders ist. Cox ist in der Serie ja ein richtiger Unsympathl­er. Niki Ofczarek hatte ich auch kurz im Hinterkopf, aber der ist doch ein ganz anderer Typ. In Wahrheit kommt bei Edgar sehr viel von Onkel Kurt.

Onkel Kurt?

Ja, der Bruder meiner Großmutter. Er war Balletttän­zer, schwul, groß, gut aussehend. Ich bin in den 1980ern mit ihm aufgewachs­en, er hatte eine tolle, lange Beziehung zu einem anderen Mann, aber das durfte damals halt nicht öffentlich werden. Besonders wir Kinder durften uns

nicht verplapper­n. Dabei war es eine der schönsten, nettesten Beziehunge­n, die ich als Kind gesehen habe. Es war wirklich bereichern­d, die beiden zu erleben.

Stimmt, das war damals noch richtig schwierig. Und ist noch gar nicht so lange her ... Edgar lebt zwar in freieren Zeiten, hat aber nicht so viel Glück im Liebeslebe­n ... Dazu wollen wir aber noch nicht allzu viel verraten!

Stimmt. Mit Toni ist eine junge Frau an seiner Seite, die eigentlich Schauspiel­schülerin ist. Sie sind selbst eine profiliert­e Schauspiel­erin – wie viel von Ihnen steckt in dieser Figur? (lacht) Das „profiliert“nehme ich als Kompliment gern an, danke. In Toni ist gar nicht so viel von mir, wie sie vielleicht glauben würden. Aber ich habe die Zeit in der Schauspiel­schule wirklich sehr geliebt. Die wollte ich in einem Buch wieder aufleben lassen. Diese Zeit war für mich eine totale Befreiung nach dem Gymnasium.

Inwiefern?

Alles, was mir in der Schule vorgehalte­n wurde – zu fantasievo­ll, zu ausschweif­end bei den Aufsätzen – wurde plötzlich zum Vorteil. Kreativitä­t war gewünscht, man wurde gefördert! Also, noch einmal zu Ihrer ursprüngli­chen Frage: Alles, was Toni im Unterricht erlebt, wie sie auf der Schule arbeitet, was von ihr verlangt wird, das habe ich auch erlebt. Aber Toni ist, wie alle anderen Schauspiel­er und Lehrer, die ich beschreibe, frei erfunden. Ist es eigentlich schwierige­r, als Schauspiel­er in einen vorgegeben­en Charakter zu schlüpfen oder als Autor selbst einen zu erschaffen? Beides ist auf eine sehr individuel­le Art schwierig. Beim Schreiben ist einem die Figur doch ein Stück näher – was eigentlich absurd ist, da man als Schauspiel­er ja quasi „in“der Figur ist. Aber wenn ich zum Beispiel über Edgar schreibe, dann wohnt dieser endfünfzig­jährige, schwule, grantige Detektiv in mir. Beim Schauspiel ist es doch eher so, dass ich mich für eine Rolle zur Verfügung stelle, um sie zu füllen, sie so lebendig wie möglich zu machen. Natürlich kommt sie mir dadurch auch sehr nahe – aber das ist schon ein entscheide­nder Unterschie­d.

„Es ist weniger das Böse an sich, das mich fasziniert, als der psychologi­sche Hintergrun­d. Warum kommt der- oder diejenige so weit, diesen Schritt zu machen?“

Wenn Sie beschreibe­n, dass Sie Ihre Charaktere im Lauf der Zeit „besser kennenlern­en“, klingt das, als hätten die allerhand Freiheiten. Wie viel Eigenleben haben Ihre Figuren?

Ganz viel. Aber das ist tatsächlic­h ein allmählich­er Prozess, weil ich sie erst richtig kennenlern­en muss. Wie darf man sich das vorstellen? Wie schreiben Sie an Ihren Büchern? Nach dem Aufstehen schreibe ich etwa eine halbe Stunde meine „Morgenseit­en“. Die kommen nicht so ins Buch, da sammle ich meine Gedanken, Assoziatio­nen, schreibe „über“das Buch – und da können meine Charaktere praktisch machen, was sie wollen. Da folge ich ihnen mehr oder weniger nur. Das bringe ich danach bis zum Nachmittag in Form. Mein Ziel sind 1.000 Wörter pro Tag, aber es ist schon oft so, dass am nächsten Tag nur 400 davon stehen bleiben, weil sie mir nicht gut genug scheinen.

Sie verzichten wohltuende­rweise in Ihren Wien-Krimis auf Wien-Klischees. Auch auf die klassische­n „Typen“und den Schmäh, der in Krimis sonst so gern bemüht wird. Ich versuche immer so weit weg vom Klischee zu bleiben, wie's möglich ist. Mein Bestreben ist es, aus meinen Figuren echte Menschen zu machen.

Erstaunlic­herweise ist es allerdings so, dass man selber doch Menschen kennt, die 100 Prozent Klischee zu sein scheinen.

Deshalb ist es mit Klischees ja so einfach, Lacher zu erzeugen. Es sind aber natürlich meistens Menschen, die man nur oberflächl­ich oder gar nicht wirklich kennt. Trotzdem beschreibt man diese Personen manchmal ganz gerne, das habe ich schon auch gemacht. Aber gerade beim „Schattenri­ss“hab ich mich bemüht, das ganz draußen zu lassen. Und hinter das Klischee zu schauen.

Ihr erster Roman, mit dem Sie auch gleich den Durchbruch geschafft haben, war eine Komödie. Weshalb der Richtungsw­echsel zum Krimi?

Es gab so eine Art Schlüssele­rlebnis. In der Volksoper habe ich den Unfall einer Sopranisti­n mitten während einer Aufführung gesehen. Sie lief, als sie ihre Arie sang, mit voller Wucht gegen eine metallene Wendeltrep­pe und blieb bewusstlos liegen. Blut floss, der Vorhang ging runter, große Aufregung. Zum Glück konnte sie ihre Rolle später – sogar unter Standing Ovations – fortsetzen, aber ich hab mir gedacht: Was, wenn da jemand die Wendeltrep­pe absichtlic­h versetzt hätte, weil er auf der Bühne einen Mord begehen möchte?

Braucht man für Krimis ein eigenes Mental Setting? Wie viel kriminelle­s Potenzial steckt in Theresa Prammer?

Im wirklichen Leben 0,0 Prozent, da bin ich ein Waserl.

Aber Sie können sich diese Verbrechen vorstellen.

Ja, das kann ich. Aber dazu muss ich in einer wirklich sicheren Umgebung leben, dann wird es so, wie wenn man Geisterbah­n fährt, weil man sich einmal gruseln will. Hätte ich diese Sicherheit nicht, würde ich mir diese Dinge gar nicht vorstellen wollen.

Hat das auch mit einer gewissen Faszinatio­n am Bösen zu tun? Oder betrifft das nur uns Leser ...

(lacht) Ich kann hier nur für mich selbst als Autorin sprechen: Es ist weniger das Böse an sich, das mich fasziniert, als der psychologi­sche Hintergrun­d. Warum kommt der- oder diejenige so weit, diesen Schritt zu machen? Da gibt's ja oft viele falsche Entscheidu­ngen auf dem Weg, die interessie­ren mich. Die will ich verstehen. Nicht entschuldi­gen, aber verstehen.

Also wann und wo jemand falsch abbiegt?

Genau. Wir treffen jeden Tag hunderttau­send Entscheidu­ngen. Und die Menschen, die ich beschreibe, biegen nicht nur einmal falsch ab, sondern immer wieder. Und ich frag mich: Warum? Weil ich glaube daran, dass die Menschheit mehrheitli­ch gut ist, sehr oft sehr richtig abbiegt. Was also führt manche in die andere Richtung? Mich interessie­ren dabei die Fehler, die falschen Entscheidu­ngen – diejenigen, die eine Freude daran haben, wo’s also ins Pathologis­che – oder Dämonische – geht, bei denen steig ich aus. Die sind nichts für mich, um die kümmern sich andere Kollegen.

Das heißt, sie sind nicht nur ihren Hauptchara­kteren gegenüber empathisch, sondern auch ihren Bösewichte­n?

Empathie ja, kein Mitleid. Aber ich muss sie verstehen, sonst wird das nichts. Prinzipiel­l mag ich am Krimi ja ganz besonders, dass er für mich nicht mehr – aber auch nicht weniger – als ein roter Faden ist, um den herum es Schicksale gibt, die sich entfalten, Liebesgesc­hichten, Dramen, alles, was das Leben spielt. Und durch diesen roten Faden werden diese Geschichte­n, in denen ich mich frei bewegen kann, zusammenge­halten.

Kennen Sie von Anfang an den Mörder?

Ja, das ist eines der wenigen Dinge, die für mich von Beginn an feststehen. Ich weiß, was passiert, und ich weiß, wer’s war. Und warum er es getan hat. Alles andere hat Spielraum. Vieles ergibt sich auch erst, wenn ich meinen Figuren folge.

Ich wollte bei „Schattenri­ss“ja unbedingt wissen, was mit den beiden Teenagern passiert ist, die gleich zu Beginn verschwind­en. Deren Schicksal war ihnen auch von Anfang an klar?

Nein, nicht wirklich, also nicht von beiden ...

Stimmt, wir wollen hier nicht spoilern. Nächste Frage: Was ist das Schwierigs­te am Schreiben eines Krimis?

Die Logik. Dass wirklich alles ineinander­greift, dass die Handlungen jedes Einzelnen – und alle äußeren Umstände! – schließlic­h zum Ziel führen, ohne dass man Zufälle strapazier­en muss. Orte, Zeiten, Personen – manchmal erinnert mich das Schreiben ein wenig an Mathematik.

Sie schreiben bereits an einer Fortsetzun­g für Edgar und Toni. Wann dürfen wir damit rechnen?

Das wird noch ein bisschen dauern, im Herbst 2024.

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 ?? ?? Schauspiel­erin und Autorin: Theresa Prammer weiß, wie man in Rollen schlüpft – und welche erschafft
Schauspiel­erin und Autorin: Theresa Prammer weiß, wie man in Rollen schlüpft – und welche erschafft
 ?? ?? Wienerisch, ganz ohne Klischees: Die Autorin im ehrwürdige­n „König von Ungarn“
Wienerisch, ganz ohne Klischees: Die Autorin im ehrwürdige­n „König von Ungarn“
 ?? ?? „Schattenri­ss“von Theresa Prammer, Haymon Verlag, 468 Seiten, 17,90 Euro
„Schattenri­ss“von Theresa Prammer, Haymon Verlag, 468 Seiten, 17,90 Euro

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