Kurier (Samstag)

KRIBBELN, ÜBERALL

- gabriele.kuhn@kurier.at

„Seufzen kann sich herrlich anfühlen – und nach und nach in einen Zustand tiefenents­pannter Sinnlichke­it führen.“

Seufzen statt Hecheln und lautstarke­s Stöhnen – warum die richtige Atemtechni­k zu mehr Lust und Erregung führt und weshalb Frauen sich so schwer damit tun. Die gute Nachricht: Übung macht die Meisterin. Eine Anleitung zum Glücklichs­ein.

Einatmen. Ausatmen. Und wieder ist ein Jahr vorüber. Zeit, loszulasse­n, heißt es in diesen Tagen oft. Man schickt Wünsche fürs Neue ins Universum und das Alte zum Teufel. Zum Beispiel den Stress. Die Wut. Diesen unzuverläs­sigen Typen. Eine Affäre, die nur mehr nervt. Oder Verhaltens­weisen, die überflüssi­g geworden sind. An dieser Stelle fällt mir dieses schöne Gespräch ein, das ich vor einiger Zeit mit Josefine Roß geführt habe. Die 37-Jährige Hamburgeri­n hat sich auf Atemarbeit spezialisi­ert, im Allgemeine­n wie im Speziellen. Mit „speziell“ist Sexual Breathwork gemeint, als Methode um das eigene Liebeslebe­n zu pimpen. Roß’ Zielgruppe sind – zunächst – Frauen. Womit wir beim Thema „Stöhnen“wären. Wie Untersuchu­ngen zeigen, ist lautstarke­s weibliches „Ah & Oh“nicht zwingend der Beweis für exzessiv empfundene Lust. Eher mehr denn weniger geht es darum, den Akt zu beschleuni­gen – oder zu gefallen. Klingt desillusio­nierend, ist aber erlernt. Josefine Roß kennt das: „Vielfach wurden wir mit Pornos sexuell sozialisie­rt. Und in denen stöhnen die Frauen immer sehr heftig, weil sie erfahren haben, dass Lautstärke wichtig ist.“Performanc­e statt Fühlen. Was dabei verloren geht, ist Authentizi­tät. Das Echte, die Wahrheit, in die wir uns fallen lassen und alles zulassen können. Roß widerspric­ht dem Hechel-Hype: „Es ist eher ein sanftes Stöhnen und Seufzen, das unser Nervensyst­em entspannen lässt. Viele Frauen sind auch beim Sex viel zu kurzatmig oder halten die Luft an.“Doch erst mit der Entspannun­g kommt der Genuss. Und das Fühlen des eigenen Körpers. Exakt das ist die Idee des „Sexual Breathing“: Es soll Frauen helfen, wieder mehr Körpergefü­hl zu bekommen, Verspannun­gen zu lösen, aber auch bewusst in den Körper und in das Becken zu atmen. Je tiefer, desto besser. Weil intensives Atmen Sauerstoff erzeugt und damit stark durchblute­t – ein ultimative­r Kick für die Erregung. Energie wird frei. Diese Art zu atmen kann leise sein und eher unspektaku­lär. Übung hilft, zunächst in Form von Selbstbeob­achtung. Was Roß rät: „Zu schauen, was passiert, wenn ich mit geschlosse­nen Augen ein- und ausatme. Um zu lernen, in den Bauch, ins Becken zu atmen, weich zu werden, Kontakt aufzunehme­n.“Vielleicht ist da Widerstand, man atmet eine Spur lauter – oder seufzt. Seufzen kann sich herrlich anfühlen – und nach und nach in einen Zustand tiefenents­pannter Sinnlichke­it führen. An dieser Stelle wird’s wirklich interessan­t: „Denn jetzt kann der Impuls eines lauteren Stöhnens folgen.“Der ist allerdings nicht erdacht, nachgemach­t oder erzwungen – sondern kommt von selbst. Endlich Geräusche, die nicht irgendeine­r Porno-Performanc­e entspreche­n, sondern einem selbst. Und ja: All das funktionie­rt formidabel ohne Partner. Zumal es zunächst darum geht, sich selbst zu entdecken, statt jemandem zu gefallen und ihn performati­v und bühnenreif in seinen Orgasmus zu jagen.

Es kann aber auch recht charmant sein, sich gemeinsam in die Verschmelz­ung zu atmen, was fast schon tantrische Züge hat. Im besten Fall winkt ein Zuckerl: der Ganzkörper­orgasmus. Roß, die ihn selbst schon erlebt hat, schildert das so: „Es zittert durch den Körper, man atmet und atmet, ein inneres Kribbeln entsteht, das sich vom Beckenbode­n über das Herz bis in die Fingerspit­zen und Füße ausbreitet.“Ein wohliges Gefühl sei das, weniger anstrengen­d als der klassische Peak-Orgasmus, der nur Sekunden dauert. Vor allem aber hält das Gefühl an, mitunter einen Tag. So betrachtet: einatmen. Ausatmen. Tief und bewusst. Willkommen 2024.

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