Kurier (Samstag)

Wie die Habeck-Blockade Deutschlan­d spaltet

Bauern wollten Fähre mit Minister an Bord stürmen – für die einen Tabubruch, für die anderen selbst verschulde­t

- EVELYN PETERNEL

Protest-Eskalation. Auf den verwackelt­en Videobilde­rn wirkt die Lage ungemütlic­h, mehr noch: beängstige­nd. Dutzende Menschen stehen am Steg zur Fähre an der Nordseeküs­te, fast nur Männer. Sie schreien und grölen. Hätte die Fähre nicht wieder abgelegt, „hätte der Mob die Fähre eine Minute später gestürmt“, sagte Reederei-Chef Axel Meynköhn.

Was passiert ist? Auf der Fähre war der grüne Wirtschaft­sminister Robert Habeck, der von seinem Urlaub auf der Nordseeins­el Hallig Hooge zurückkehr­en wollte. Das verhindert­en etwa 300 erboste Landwirte mit Gewalt, indem sie dort mit gut 80 Traktoren standen; ein kleinerer Teil – etwa 30 Menschen – wollte sogar auf die Fähre. Es war der Höhepunkt einer langen Auseinande­rsetzung: Deutschlan­ds Landwirte demonstrie­ren seit Wochen gegen die Ampelregie­rung aus SPD, Grünen und FDP, die aus Budgetknap­pheit Subvention­en für die Bauern gestrichen hat; etwa die KfzSteuerb­efreiung für landwirtsc­haftliche Fahrzeuge oder das Steuerpriv­ileg auf Agrardiese­l.

Nun streitet Deutschlan­d darüber, wie weit Protest gehen darf – und wer hier Opfer und Täter ist. In konservati­ven Medien wie Welt oder Bild wird Habeck recht offen eine Mitschuld an der Eskalation gegeben: Dass die Grünen Aktionen der Letzten Generation unterstütz­en, sei ein Türöffner für gewaltsame Proteste gewesen, heißt es da. Liberale Zeitungen wie die Süddeutsch­e oder die Zeit erinnern an die „Volksverrä­ter“Pöbeleien gegen Angela Merkel, die symbolisch auch schon mal an einem Galgen hing – solche Angriffe auf die Politik seien seither von populistis­chen Kräften noch massiv befeuert worden. „Dies passiert nicht einfach so. Die Saat dafür war seit Langem gelegt“, schreibt die Süddeutsch­e.

Tatsächlic­h dürfte das auch bei der Eskalation an der Nordsee der Fall gewesen sein. Wie Recherchen von Investigat­ivjournali­sten nachwiesen, waren es nicht nur betroffene Bauern, die am Ufer standen. Zumindest jene Person, die via Telegram zum Protest aufrief, ist wohl der Reichsbürg­erszene zuzuordnen, sie postet auch auffallend oft bei den rechtsextr­eme Identitäre­n. Woher sie allerdings von Habecks Reisepläne­n wusste, ist unklar – das ermittelt nun die Staatsanwa­ltschaft.

Seltsamer Zeitpunkt

Fragwürdig war auch der Zeitpunkt der Blockade. Die Ampel hatte einen Großteil der Streichung­en just am Vortag der Blockade wieder aufgeweich­t und somit eigentlich alle Stolperste­ine aus dem Weg geräumt. Man hatte dem Druck der Bauernverb­ände nachgegebe­n, die in der kommenden Woche sogar einen Großprotes­t angekündig­t hatten.

Wenig überrasche­nd ist daher, dass die Blockade in sozialen Medien von Rechtsextr­emen und Reichsbürg­ern gefeiert wird. Neonazigru­ppen versuchen bereits seit Beginn der Proteste, diese für sich zu vereinnahm­en, indem sie an sich friedliche Demos kapern und zu Gewalt aufrufen.

Habeck selbst bedauerte am Freitag, dass sein Angebot eines Gesprächs während der Blockade nicht angenommen worden war. Er hatte durch Vermittlun­g der Polizei zwei Vertreter der Bauern zu sich auf das Boot gebeten, die Menge reagierte darauf allerdings nur mit höhnischem Lachen.

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Robert Habeck wurde am Donnerstag von einem wütenden Mob daran gehindert, eine Fähre zu verlassen

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