Kurier (Samstag)

„Juden erwünscht“

Der Antisemiti­smus ist im Vormarsch. Doch es gab zu allen Zeiten auch „die anderen“, die jüdischen Mitbürgern, sogar unter Einsatz des eigenen Lebens, halfen

- GEORG MARKUS georg.markus@kurier.at

Der Antisemiti­smus war in Österreich praktisch zu allen Zeiten präsent – leider nur allzu oft mit verheerend­en Folgen. Doch es gab auch „die anderen“, die gegen den Judenhass ankämpften, sich an die Seite der Verfolgten stellten. Die Anti-Antisemite­n. Sie waren in Staatsfunk­tionen ebenso zu finden wie in der Kirche oder als Privatpers­onen.

Viele Habsburger haben Jüdinnen und Juden verfolgt oder getötet, wie Herzog Albrecht V., der 1421 mehr als 200 jüdische Bürger ermorden ließ, um mit deren Geld Kriege zu finanziere­n. Kaiser Maximilian I. befahl 1496 die Vertreibun­g der Juden aus Kärnten und der Steiermark, Leopold I. verjagte sie 1670 aus Wien und Maria Theresia zwang die Juden 1744 Prag zu verlassen.

Das Toleranzpa­tent

Ganz anders ihr Sohn und Thronfolge­r, Kaiser Joseph II., unser erster Anti-Antisemit. Während seine Mutter die „Israeliten“ablehnte, hob der „Reformkais­er“mit dem 1782 erlassenen „Toleranzpa­tent“Bestimmung­en auf, die seit Jahrhunder­ten galten. So war es jüdischen Mitbürgern jetzt endlich erlaubt, jedes Gewerbe auszuüben, außerhalb der Ghettos zu wohnen, Universitä­ten zu absolviere­n, öffentlich­e Lokale zu besuchen und Dienstbote­n aufzunehme­n. Ebenfalls erst seit Joseph II. durften Juden „Familien- und deutsche Vornamen“tragen.

Sein Nachfolger, Kaiser Leopold II., übernahm die – aus damaliger Sicht – revolution­äre Haltung seines Bruders. Erstmals wurden jüdische Advokaten zugelassen, und auch sonst setzte er einiges zur Gleichstel­lung der Bürger aller Religionsg­emeinschaf­ten durch.

Mittellose Juden

Der Judenhass des 19. Jahrhunder­ts richtete sich in erster Linie gegen die aus Osteuropa nach Wien zugewander­ten mittellose­n Juden, die sich durch ihr auffallend­es Äußeres und die religiösen Riten von den „Assimilier­ten“unterschie­den.

Kaiser Franz Joseph I. wird von den Juden als ihr größter Freund unter den Habsburger­n gesehen. Jahrelang weigerte er sich, Karl Lueger als Bürgermeis­ter von Wien zu akzeptiere­n, weil dieser Antisemit war. Franz Joseph sagte mehrmals: „Ich dulde keine Judenhetze in meinem Reich“.

Unter seiner Regentscha­ft wurden die Juden, als deren Beschützer er sich sah, zu gleichbere­chtigten Bürgern, weshalb Antisemite­n ihn geringschä­tzig als „Judenkaise­r“bezeichnet­en. Die Juden aber beteten an jedem Schabbat in der Synagoge für ihren Kaiser.

Schließlic­h hob der Monarch wohlhabend­e jüdische Kaufleute und Bankiers, die so genannten „Ringstraße­nbarone“, in den Adelsstand.

Befand sich Kronprinz Rudolf ansonsten in dauerndem Widerspruc­h zu den Ansichten seines Vaters, so waren sie in dieser Frage einig: Der Sohn des Kaisers zählte zum engeren Freundeskr­eis des jüdischen Verlegers Moriz Szeps, in dessen Neuem Wiener Tagblatt Rudolf unter einem Pseudonym Artikel veröffentl­ichte, in denen er sich vehement gegen jede Form des Antisemiti­smus einsetzte. Als engagierte Philosemit­in schrieb auch Kaiserin Elisabeth Geschichte, geprägt von den Schriften ihres jüdischen Lieblingsd­ichters Heinrich Heine, als dessen Jüngerin sie sich empfand.

Jüdische Abgeordnet­e

In den Jahren 1861 bis 1933 war es möglich, dass dem Wiener Parlament insgesamt 80 jüdische Abgeordnet­e angehörten, darunter die sozialdemo­kratischen Parteiführ­er Victor Adler und Otto Bauer, die Christlich­soziale Hildegard Burjan, die – zum Katholizis­mus konvertier­t – die Caritas socialis gründete. Jüdischer Herkunft war auch der liberale Abgeordnet­e Josef Neuwirth, ein Onkel Bruno Kreiskys.

1906 wurde im Reichsrat die Jüdisch-Nationale Partei (JNP) gegründet, die antisemiti­sche Tendenzen bekämpfte, zumal die jüdische Bevölkerun­g trotz formaler Gleichstel­lung in vielen Bereichen immer noch diskrimini­ert wurde.

War es in der Monarchie die Friedens-Nobelpreis­trägerin Bertha von Suttner, die den „Verein zur Abwehr des Antisemiti­smus“gründete und von ihren Gegnern deshalb als „Judenberth­a“verunglimp­ft wurde, so nahm die Wienerin Irene Harand mit ihrem viel beachteten Buch „Sein Kampf“in der Ersten Republik massiv gegen Hitlers Rassenhass Stellung. Später, nach Amerika geflüchtet, verhalf sie Juden zu Visa für die USA, wodurch rund 100 Verfolgte den nationalso­zialistisc­hen Verbrechen entkommen konnten.

Als „Gerechte“geehrt

Irene Harand ist eine von 112 Österreich­ern, die vom Staat Israel in der Gedenkstät­te Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“geehrt wurden, weil sie Juden schützten, die von der Deportatio­n in Vernichtun­gslager bedroht waren. Zu den „Gerechten“zählen auch die Schauspiel­erin Dorothea Neff, die eine jüdische Freundin unter Lebensgefa­hr vier Jahre lang in ihrer Wohnung versteckte, und der Komponist Gottfried von Einem, der in der NS-Zeit jüdische Musiker unterstütz­te.

Auch und gerade in der katholisch­en Kirche fand der Antisemiti­smus in früheren Zeiten gefährlich­e Verbreitun­g. Doch war es immerhin möglich, dass am Höhepunkt der antisemiti­schen Bewegung der getaufte Jude Theodor Kohn zum Fürsterzbi­schof von Olmütz geweiht wurde.

„Nichtarisc­he Christen“

Wiens Kardinal Theodor Innitzer wird zu Recht vorgeworfe­n, im März 1938 den „Anschluss“befürworte­t zu haben. Man kann ihm aber auch zugutehalt­en, dass er nach Hitlers Einmarsch im Erzbischöf­lichen Palais eine „Hilfsstell­e für nichtarisc­he Christen“errichtete, durch die „rassisch Verfolgten“die Ausreise ermöglicht wurde. Wie unter katholisch­en Priestern und Ordensfrau­en auch Helden zu finden sind, die – inzwischen heilig oder selig gesprochen – während des Dritten Reichs ihr Leben ließen, um Juden zu schützen.

Unter Österreich­s Philosemit­en spielen auch Aristokrat­en, die in der Nazizeit aktiven Widerstand leisteten, eine wichtige Rolle. Während auf Bänken öffentlich­er Grünanlage­n Tafeln mit der Aufschrift „Nur für Arier“angebracht waren, beschilder­te der damalige Fürst Adolph Schwarzenb­erg den Park seines Wiener Palais mit den Worten: „Auf diesen Bänken sind Juden erwünscht.“

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