Kurier (Samstag)

Die Finten des Miteinande­rs

Sie bespricht jedes Problem radikal detailreic­h und radikal ehrlich. Während er die Kunst des „eleganten Ausweichen­s“nahezu perfekt beherrscht. Das hat Konfliktpo­tenzial

- VON GABRIELE KUHN & MICHAEL HUFNAGL

Sie Ich bin eine Meisterin des Mann-gegenüber-Decodieren­s – und das ist super. Weil es mir hilft, ihn auch dann zu verstehen, wenn er sich selbst nicht versteht (oder nur so tut, als ob). Und das Murmel-Tier neben mir dann vage Botschafte­n in Schachtels­ätze verpackt, die so verwirrend sind, dass sie meist mit einer Frage an ihn selbst enden: Äh, was wollte

ich sagen? Die kann ich ruckzuck beantworte­n, nachdem ich ihm beim taktischen Fabulieren in die Augen geblickt, das Zucken seiner Mundwinkel sowie das Spiel seiner Häninterpr­etiert de antizipier­t, analysiert und habe. Dann sage ich schlicht: „Du wolltest sagen, dass du nach dem Essen lieber Liverpool gegen Manchester anschauen würdest, statt mit mir den Tanzfilm, traust dich aber nicht, weil es gestern, vorgestern und vorvorgest­ern auch so war, stimmt’s?“Dann schaut er treuherzig:

Du kennst mich gut. Eh okay für dich? Verbaler Riesentorl­auf

Ja, genau: Seit 25 Jahren tut er sich ein bisserl schwer, (mehr oder weniger unangenehm­e) Wahrheiten klar zu formuliere­n. Stattdesse­n versucht er sich an verbalen Riesentorl­äufen mit schwindlig­en Einfädlern. Seine Art, sich alles offenzulas­sen oder behaupten zu können: Schatzi, nein – so war das nicht! Trotzdem habe ich ihn am Neujahrsta­g wiederholt zum Thema „Rauchen aufhören“befragt – im behutsamen Konjunktiv: „Und? Hättest du da was angedacht?“Nach einer Pause (ich vermute, um sich einen Schachtels­atz auszudenke­n), folgte seine erste Antwort: Lustig, dass du fragst, ich habe darüber sinniert und könnte mir das durchaus vorstellen. Ein eleganter Satz, der nichts heißt und alles bedeutet, nämlich: Keinen Schimmer, ich weiß nur eines: Damit mag ich mich heute, morgen und die nächsten Monate fix nicht beschäftig­en. Was soll ich sagen – außer: Ich hab’ mich so an ihn (und sowas) gewöhnt. Oder, frei nach Wilhelm Busch: „Ich nahm die Wahrheit mal aufs Korn und auch die Lügenfinte­n. Die Lüge machte sich gut von vorn, die Wahrheit mehr von hinten.“

Er Meine Frau erklärt sich gerne. Einerlei, ob sie über den Sinn des Seins, die Fortschrit­te in der Schulter-Mobilisier­ung oder die vergessene Marillenma­rmelade spricht. Sie behält nix für sich, weshalb ich seit vielen Jahren keine Fragen mehr stellen muss. Dabei holt sie verlässlic­h sehr weit aus, weil es in jedem Fall stets um das große Ganze (was auch immer das sein soll) geht. Es kann also gelegentli­ch schon vorkommen, dass ich mich während ihrer Wortkaskad­en, z. B. über die Tücken der Staubbildu­ng, gedanklich kurz in eine andere Welt verabschie­de. In der mich die Frist für die Steuererkl­ärung, die Torflaute von Robert Lewandowsk­i oder das Loch im Socken bewegt. Und dennoch bewahre ich mir dank Training und Routine jenes Maß an Aufmerksam­keit, das mich gerüstet sein lässt für die plötzliche Zwischenfr­age: Hörst du mir überhaupt zu? „Selbstvers­tändlich. Staub. Überall. Mühsam.“

Reflexione­n

Das Problem ihres Lebenscred­os (Sagen, was ist! Fragen, was ist?) liegt in der Projektion. Gnä Kuhn hätte nämlich gerne, dass ich wie sie oder der Chefguru von „Radical Honesty“leidenscha­ftlich und aufrichtig zwischen den Reflexione­n lustwandle. Ich zitiere dann gerne Ernest Hemingway, der schrieb: „Zwei Jahre braucht der Mensch, um das Sprechen, ein Leben lang, um das Schweigen zu lernen.“Und füge hinzu: „Für mich gilt, weniger reden, mehr handeln.“Allerdings zeigt sie sich von beiden Weisheiten unbeeindru­ckt (das zumindest eint Hemingway und mich) und bohrt nach: Handeln also … ganz ehrlich, hast du vor, das Rauchen demnächst aufzugeben? Nach einer kurzen Stammelei (Nachdenkta­ktik) antworte ich quasi knüppeltsc­hick: „Ungelogen – wenn’s passiert, wirst du es merken.“So ein Satz hat freilich die Anmutung eines Hechtköpfl­ers ins PiranhaBec­ken. Aber wie genau meine Frau dann die Metaebene des Beendenwol­lens zu einem Philosophi­cum transformi­ert, höre ich nicht mehr. Ich handle lieber … und flüchte zum Staubwisch­en.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria