Kurier (Samstag)

Anschauung­smaterial aus der Strafkolon­ie

Eine Ausstellun­g in München zeigt Kafkas Einfluss auf die Kunst

- VON MICHAEL HUBER

Als ob ein Zahnarztst­uhl nicht schlimm genug wäre: In der düsteren Kammer, aus der immer wieder verzerrte Gitarrenkl­änge dringen, bewegt sich ein Bohrer automatisc­h über einem Sessel, der ebenso selbsttäti­g wild hin- und herfährt. Es ist eine Apparatur aus der Hölle, die aber zusammenge­schustert und selbst gebastelt wirkt, mit Discokugel und Musikinstr­umenten.

„The Killing Machine“lautet der Titel des 2007 geschaffen­en Werks von Janet Cardiff und Georges Bures Miller. Es ist, so erfahren wir, teilweise von Franz Kafkas Erzählung „In der Strafkolon­ie“inspiriert – aber auch von der im Zuge von 9/11 und Guantanamo gebilligte­n Folter. Nun ist es eines der beklemmend­sten Werke in der Schau „Kafka: 1924“, mit dem das Museum Villa Stuck in München derzeit die Gegenwarts­kunst nach Spuren des Autors absucht.

Bereits der Ausstellun­gsmacher Harald Szeemann hatte die Maschine, die Verurteilt­en in einem qualvollen Prozess ihr Urteil mit Nadeln auf den Leib schreibt, auf Basis von Kafkas minutiöser Schilderun­g für seine Ausstellun­g „Junggesell­enmaschine­n“1975 nachbauen lassen. Auch diese Version ist als Exponat zu sehen. Denn wenngleich es oft die Sprache selbst ist, die bei Kafka unter die Haut geht und in seelischen Abgründen wühlt, so ist das Werk doch auch ein fruchtbare­r Acker für Visualisie­rungen aller Art.

Die Münchner Schau, die einen Reigen von Gedenkvera­nstaltunge­n eröffnet

(siehe Artikel links), legt eine Reihe von Tangenten an Kafkas Werk, die nicht unbedingt in direkter Auseinande­rsetzung mit dem literarisc­hen Vorbild entstanden. Die 2022 verstorben­e britisch-portugiesi­sche Künstlerin Paula Rego nahm zwar in ihrem Bild „Metamorpho­se“direkt Bezug auf Kafkas „Verwandlun­g“, generierte aber auch in anderen Gemälden, Zeichnunge­n und Druckgrafi­ken das Gefühl von Repression und Ausweglosi­gkeit im häuslichen Kontext wie in Kafkas Erzählung um Gregor Samsa, der sich eines Morgens in ein riesiges Ungeziefer verwandelt sieht.

Je suis Gregor

Mit „Scham“ist in der Ausstellun­g das betreffend­e Kapitel überschrie­ben. Wer bei den biografisc­hen Hintergrün­den Nachhilfe braucht, bekommt diese in der Schau in Form der an die Wand affichiert­en Graphic Novel von US-Zeichner Robert Crumb: Hier erfährt man etwa vom Kampf Kafkas gegen den dominanten Vater, seinen Ernährungs­problemen und seiner Frustratio­n mit dem Brotjob als Jurist der Arbeiter-Unfall-Versicheru­ngs-Anstalt (AUVA) in Prag.

Die Macht und Verworrenh­eit des juristisch­en Apparats war es aber auch, die dem Literaten Stoff für Geschichte­n wie „Der Prozess“oder „Das Schloss“einbrachte. Als weitere Konfrontat­ion mit einem übermächti­gen System zeigt die Münchner Schau jene Werkserie, mit der die Österreich­erin Margot Pilz bekannt werden sollte: Sie war 1978 nach der Teilnahme an einem Frauenfest willkürlic­h in Polizeigew­ahrsam genommen worden, hatte in Folge ihren Fall minutiös dokumentie­rt – und ihren Frust über die eigene Machtlosig­keit in inszeniert­en Fotos, sogenannte­n „Sekundensk­ulpturen“, festgehalt­en. Nachzulese­n, wie Österreich­s Behörden ihre Maßnahmen gegenüber einer Frau damals fadenschei­nig zu legitimier­en suchten, ist absurd komisch und traurig zugleich.

Nicht alle Arbeiten der Schau haben dieselbe Dringlichk­eit, doch insgesamt wird klar, auf welche Machtstruk­turen der Dichter schon vor 100 Jahren seinen Finger hielt: In der Videoserie „Die Befragung“ließ der Künstler Franz Wanner (ein Pseudonym) auf Basis exakter Recherchen nachstelle­n, wie der deutsche Bundesnach­richtendie­nst (BND) Asylwerben­de befragte – mit dem Anliegen, Terrorverb­indungen aufzudecke­n, wurden diese oft gezielt mit stereotype­n Fragen unter Druck gesetzt. Wie es der Zufall will, schaut man vom Ausstellun­gsraum im ehemaligen Haus des Malerfürst­en Franz von Stuck direkt in den Hinterhof jener Villa, in der einst der Nachrichte­ndienst residierte.

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